Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
fi gur des Königs, über deren Horizont er im Grunde nie hinausgekommen ist.
Ludwig II. schuf sich in seinen Schlössern ein absolutistisches Scheinimperium – zumal in dem Versailles nachgebildeten Herrenchiemsee. Lohengrin und Ludwig XIV., das sind gewissermaßen die Pole, zwischen denen das Selbstverständnis des Königs schwankte: der keiner Legitimation bedürfende Schwanenritter und der über den Gesetzen stehende absolutistische, seiner sakralen Würde bewusste Herrscher, dessen Hof und Schloss zu Versailles auch im Zentrum des Spielplans der Separatvorstellungen Ludwigs II. gestanden haben. Nichts aber war Richard Wagner mehr zuwider als gerade die absolutistische Hofzivilisation des französischen 17. und 18. Jahrhunderts. Als er zwei Wochen vor seinem Tod von der Einrichtung des Schlosses Herrenchiemsee erfährt, »schämt« er sich der Aufzeichnung Cosimas am 31. Januar 1883 zufolge »des ganzen Verhältnisses. Beklagt es, daß nicht Rothschild ihm eine Million geschenkt« (CT II, 1103). Das ist die zynische Absage an eines der lebensbestimmenden Ideale Wagners, war es doch stets sein Bestreben gewesen, die Kunst zu entkommerzialisieren: zumal durch die Festspielidee und das Mäzenatentum des Patronatsvereins. Nun aber will Wagner-Wotan die Welt dem Walten Alberichs, der Macht und dem Fluch des Goldes überlassen? Gewiss ist das nur eine momentane A ff ektaufwallung Wagners, aber sie ist bezeichnend für seinen Überdruss an der Rolle, die er in der halb absolutistischen, halb sakralen obskurantistischen Traumwelt des Königs zu spielen hatte.
Wie er Versailles für sich nachzubauen suchte, so verwandelte Ludwig II. die fi ktiven Schauplätze der Wagnerschen Musikdramen in Räume seiner eigenen Lebenswelt: die wichtigsten Zeugnisse dafür sind die Venusgrotte, die Hundinghütte und die Einsiedelei des Gurnemanz in und bei Linderhof – und vor allem das ganze Schloss Neuschwanstein, das ein »Tempel« Wagners werden sollte, eine Summe seiner Opern, zumal des Tannhäuser und Lohengrin , die der König stets als Einheit sah.
Abb. 22 : Ludwig II. in der Grotte in Linderhof
In diesem Zusammenhang ist auch sein nachdrückliches Bestreben zu sehen, Parsifal von Bayreuth nach München, in seine unmittelbare Umgebung zu ziehen und ihn gewissermaßen in die Karwochenliturgie zu integrieren. Wagner hat sein Bühnenweihfestspiel von jeder sakralen Bestimmung ferngehalten, weiht es wirklich ausschließlich der Bühne. Ludwig II. hingegen bleibt unbeirrbar dabei, »daß zu einer Aufführung des Parsifal die Poesie des Frühlings, der Zauber einer wiedererwachenden Natur, kurz die zeitliche Nähe des heiligen Karfreitags gehöre«, wie der Hofsekretär von Bürkel Cosima Wagner am 20. Januar 1883 mitteilen lässt. Bayreuth scheint für den König ein Irrtum zu sein!
Das Selbstverständnis des Königs und Wagners Auffassung von einem modernen Monarchen, wie er sie in Wort und Schrift verbreitet hat, kla ff en tief auseinander. Das zeigt noch die Artikelserie Deutsche Kunst und deutsche Politik (1867/68), die er für die mit Unterstützung des Königs als »großes politisches Journal« ins Leben gerufene Süddeutsche Presse von Julius Fröbel schreiben wird. Wagner bietet hier ein breites Panorama deutscher, ja europäischer Kulturgeschichte (mit kenntnisreichen Ausblicken z. B. in die spanische Kultur des Siglo de Oro und die französische Literatur des 19. Jahrhunderts, etwa einer erstaunlichen Würdigung der Comédie humaine von Balzac). Dieses Kulturporträt gipfelt im Artikel XIII in einem Utopia nicht außerhalb, sondern oberhalb der staatlich-gesellschaftlichen Ordnung, einer Art »ästhetischem Staat« im Sinne von Schillers Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen (die von Jugend an zum Bildungsgrundstock Wagners gehörten). Es handelt sich nicht um einen Idealtypus wie bei Schiller, sondern es soll ein vom König eingesetzter wirklicher »Orden« an der Spitze der Gesellschaft, eine ideale Institution oberhalb der vom »Nützlichkeitszweckgesetz« bestimmten »staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen« und in der Sphäre der »Gnade« angesiedelt sein, in der sich erst die »ideale Bedeutung des Königthum’s « ausdrücke (GS VIII, 103–117).
Dieser Orden mit dem König an der Spitze soll – unter Aufhebung der bisherigen Privilegien und Funktionen des Adels in jener idealen Institution – in unmittelbare Verbindung mit dem Volk treten. Unverkennbar schlagen hier wieder
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