Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
9. September 1865: »Wie hasse ich dieses projectirte Theater, ja – wie kindisch kommt mir der König vor, dass er so leidenschaftlich auf diesem Projecte besteht: nun habe ich Semper, soll mit ihm verkehren, über das unsinnige Project sprechen! Ich kenne gar keine größere Pein, als diese mir bevorstehende.« ( Das Braune Buch , Zürich 1965, S. 83.) Und gut ein Jahr später, am 29. Januar 1867 schreibt er an August Röckel: »Mir liegt jetzt Alles mehr im Kopfe als Wagner-theater u. gar Wagner-strassen.« (SB XIX, 69)
Von Anfang an hat er dem König eine Alternative vorgeschlagen: ein provisorisches Theater im Glaspalast. Semper hat lange an beiden Plänen zugleich gearbeitet, obwohl der König – und auch der Architekt selber – an dem provisorischen Projekt, sosehr es Wagners genuinem Festspielgedanken entsprach, kaum Interesse hatten. Semper hat sehr wohl durchschaut, dass Wagner selbst das Theater an der Isar, in dessen Verwirklichung der Architekt die Krönung seines Lebenswerkes sah, verhindern wollte. Er habe ja doch nichts anderes im Auge als »bloß die Bretterbude«, schreibt am 17. März 1865 der Maler Friedrich Pecht an Semper. Wirklich ist Wagner nach dem endgültigen Scheitern des Münchner Projekts, das nicht zuletzt auf sein zunehmendes Desinteresse zurückzuführen ist, zu seiner alten Idee des provisorischen Theaters ohne Abstriche zurückgekehrt. Sie sollte in Bayreuth endlich Wirklichkeit werden.
An der Bayreuther Idee hatte wiederum der König kein Interesse. Dass er nach langer Weigerung das Unternehmen schließlich doch fi nanziell unterstützte – freilich nur auf Kreditbasis –, ist dem Gefühl der Treueverp fl ichtung gegenüber Wagner zu verdanken, nicht ideeller Überzeugung. Im Grunde wollte er Wagner für sich allein haben. Die in München vorgezogenen Uraufführungen des Rheingold und der Walküre , die Wagner so verbittert haben, und das Drängen auf eine Separataufführung des Parsifal in München zeigen, wie fremd dem König die Konzeption der Bayreuther Festspiele geblieben ist. Noch in seinem allerletzten Brief vom 10. Januar 1883 suchte Wagner den königlichen Freund davon abzubringen, »dieses mein Weltabschieds-Werk« von Bayreuth nach München zu verp fl anzen (LW III, 258). Nicht einmal Wagners Tod, der diesen Brief gewissermaßen zu seinem Letzten Willen machte, konnte den König zum Verzicht auf seinen Plan bewegen. Und so kam es denn am 3. Mai 1884 zur ino ffi ziellen Münchner Erstaufführung des Parsifal im Rahmen des Spielplans der königlichen Separatvorstellungen.
Die Unbeirrbarkeit des Königs in der Frage seines Aufführungsrechts war nicht einfach Herrscherwillkür, die den Autonomieanspruch des Künstlers nicht achtete, oder der im Falle des Rings berechtigte (weil vertraglich vom Autor zugesicherte) Besitzanspruch des fürstlichen Mäzens, sondern der Wahn, sein Mysterium haben zu müssen wie der Gläubige die Spendung der Sakramente. Hier kollidierten die Interessensphären des Künstlers, dem es nur um die adäquate Realisierung seines Werks ging, und des königlichen Mysten, der ebenso wenig der theatralen Aufführung entbehren konnte wie Priester und Kultgemeinde der Vollziehung eines durch den Festzyklus des Kirchenjahrs zeitlich festgeschriebenen Rituals.
Wagners Opern boten dem König den Sto ff für seine Träume, waren die Droge, welche ihm seine Ekstasen und »Wonnen« ermöglichte. Wie seine Träume bescha ff en waren, in welcher Weise er die musikalisierten Mythen Wagners auffasste, dafür sind seine Schlösser fragwürdig-lebendige Zeugnisse. Goethes Wort von der Architektur als »verstummter Tonkunst« ( Maximen und Re fl exionen 1133) bestätigt sich in den Königsschlössern auf ganz besondere Weise; sie sind verstummte Wagnersche Musik – so wie Ludwig II. sie hörte: als den Klanggrund eines inmitten der modernen prosaischen Lebenswirklichkeit wieder aufsteigenden, mystisch verklärten Mittelalters.
Wagner, das ist für Ludwig II. die Gralswelt mit ihrem tönenden Zauber, den klingenden Wundererscheinungen von Schwan und Taube, heiligen Gegenständen, hieratischen Gebärden, gesalbten und salbungsvollen Herrschern, poetisierter Geschichte und Naturzauber, einer vom Tagesgetriebe fortziehenden nächtlichen Klangreligion. Der aus geheimnisvoller Ferne heraufziehende Schwanenritter Lohengrin, der sich allein durch sein Charisma legitimiert, jede Frage nach seinem Namen und seiner Art abweist, war von Kindheit an die Identi fi kations
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