Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
er seinen Besuch, bestand darauf empfangen zu werden, ließ sich nicht abweisen, überbrachte die Botschaft des Königs und überreichte den Ring. Da fühlte Richard Wagner, insgeheim stets auf das Wunderbarste gefaßt, ein Rauschen wie von Adler fl ügeln. […] Dem Drängen des obersten Kämmerers, sich sofort zur Reise zu bereiten, widersetzte er sich nicht. Von ihm begleitet, fuhr er nach München und folgte dem Ruf des Königs, der ihn, strahlend vor Glück, mit einer Begeisterung ohnegleichen emp fi ng. Alles sollte für sein Werk geschehen. Alle seine Wünsche wollte er erfüllen. Als aber Wagner die edle Natur des wunderschönen jungen Monarchen gewahrte, da stieg auch in ihm ein Jubel auf, und der Hauch einer neuen Jugend umwehte ihn. Seiner Freunde gedenkend, nicht Einen vergessend berief er sie alle.« (Annette Kolb, König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner , München 1963, S. 12 f.)
Er berief sie alle – doch es fragt sich, ob sie das passende Märchenpersonal waren. Zu ihnen gehörten immerhin auch Wagners revolutionäre Kampfgenossen aus Dresden: der Barrikadenbauer Gottfried Semper und der soeben erst (1862) aus dem Zuchthaus zu Waldheim entlassene Musiker und politische Schriftsteller August Röckel. Und das Märchen, zu dem Annette Kolb Wagners Berufung stilisiert, sollte in der nächsten Zeit nicht selten in eine böse Farce umschlagen. Eines jedenfalls sollte sich seit dieser ›wunderbaren‹ Lebenswende nicht mehr ändern: Wagner war von nun an von aller Lebenssorge und von aller fremdbestimmten Funktion befreit, konnte sein Leben ganz seiner Kunst widmen. Als erstes sorgte der König für die Tilgung seiner Schulden und stellte ihm das von ihm gemietete Landhaus Pellet in Kempfenhausen am Starnberger See zur Verfügung. So konnten sich Künstler und König, der im benachbarten Schloss Berg wohnte, fast täglich sehen, und der Unbehauste hatte nach über einem halben Jahrzehnt – so schien es – wieder eine feste Bleibe. Auch für Minna konnte Wagner jetzt regelmäßig Geld nach Dresden schicken und sie so bis zu ihrem Lebensende wenigstens von ihren fi nanziellen Sorgen befreien.
Mein Leben , Wagners Autobiographie, die er auf Wunsch des Königs am 17. Juli 1865 Cosima zu diktieren beginnt (abgeschlossen wird das Diktat erst 1880 und in einem vierteiligen Privatdruck wenigen Freunden, so natürlich in erster Linie dem König zugedacht), endet mit seiner Berufung nach München und schließt mit den Worten Wagners, von jenem ›Wunder‹ des 3. Mai 1864 an habe ihn »unter dem Schutze meines erhabenen Freundes« nie wieder »die Last des gemeinsten Lebensdruckes […] berühren sollen« (ML 755). (Nach Wagners Tod hat Cosima die wenigen Exemplare des Privatdrucks übrigens zurückgefordert, selbst Ludwig II. gab das seinige zurück. Fast alle wurden vernichtet oder verschwanden, so dass Mein Leben mit einer Reihe von Retuschen erst 1911 und in wirklich authentischer Gestalt sogar erst 1963 erscheinen konnte.)
Ludwig II. war seit seinem fünfzehnten Lebensjahr mit dem Werk Wagners vertraut. Am 2. Februar 1861, drei Jahre nach der Münchner Erstaufführung der Oper, gestattete König Maximilian II. ihm, im Hoftheater den Lohengrin zu sehen. Dieser erste Besuch einer Wagner-Aufführung wurde für den Kronprinzen ebenso zum Schicksalstag wie die erste Begegnung mit Tannhäuser am 22. Dezember 1862. Beide Ereignisse beging der König alljährlich als förmlichen Feiertag. »Immer bin ich im Geiste bei Ihnen, ohne Aufhören beschäftige ich mich in Gedanken mit Ihnen, der Sie der Quell meiner Seligkeit, der wahre und einzige Grund meines Daseins auf Erden sind«, schreibt er am 10. Februar 1869 an Wagner. »Ende Dezember (22.) waren es volle 7 Jahre, daß ich Tannhäuser, am 2. Febr. 8 Jahre, daß ich Lohengrin zum ersten Male hörte; diese Tage sind für mich Feiertage, deren Bedeutung für mich und mein Leben nicht einmal durch die höchsten Festtage der Christenheit erreicht wird« (LW II, 255). Ein Zeugnis für die Mythisierung der ersten Begegnung mit dem jeweiligen Wagnerschen Werk zu einem quasi kultisch erinnerten Urereignis, zu einem Privatmysterium, das vom sakralen Verständnis der eigenen Königswürde bestimmt ist.
Zur Zeit der ersten Begeisterung Ludwigs II. für das Werk Wagners stand das Münchner Opernpublikum ihm freilich noch überwiegend fremd gegenüber. 1845 hatte der Komponist der Münchner Intendanz die Partitur des Rienzi geschickt – und sie unausgepackt
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