Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
des Königs, der gar mit dem Gedanken spielt, Wagner das Gehalt zu entziehen.
Richter wird suspendiert, verzweifelt sucht die Intendanz nach einem neuen Dirigenten, doch alle Angesprochenen – unter ihnen Hermann Levi, Hans von Bülow und sogar Camille Saint-Saëns – lehnen ab, da sie Wagners Bann fl uch fürchten. Das mit auswärtigen Gästen durchsetzte Sängerensemble zerfällt. Erstmals steht nun die einheimische Presse wie ein Mann auf der Seite des Königs gegen Wagner. Schließlich fi ndet sich Franz Wüllner, der Leiter der königlichen Vokalkapelle, der noch nie am Münchner Opernpult gestanden hat, bereit, in zwei Wochen das Rheingold zur Aufführung zu bringen, obwohl ihn Wagner mit drastischen Drohungen davon abzuhalten sucht (»Hand weg von meiner Partitur! Das rat ich Ihnen, Herr – sonst soll Sie der Teufel holen!«). Die auswärtigen Sänger werden durch einheimische ersetzt – und das Wunder ereignet sich: am 22. September hebt sich der Vorhang zur Uraufführung des Rheingold , die trotz derart ungünstiger Umstände ein beachtlicher Erfolg wird. Entschlossen ordnet der König nun auch die Uraufführung der Walküre im nächsten Jahr an, die wiederum unter Franz Wüllners Leitung am 26. Juni 1870 statt fi ndet – erneut vor einem erlesenen internationalen Publikum, das Wagner trotz beschwörender Versuche nicht hat fernhalten können – und stürmisch gefeiert wird. Die Operngeschichte ist reich an Geschichten verzweifelter und tragisch erfolgloser Bemühungen von Komponisten, ihre Werke auf die Bühne zu bringen. Der Fall indessen, dass ein Komponist verzweifelt bemüht ist, die erste Aufführung seiner eigenen Oper zu hintertreiben, hat Seltenheitswert.
Oper als ästhetische Utopie – Die Meistersinger von Nürnberg
Der Höhepunkt von Wagners Münchner Ära ist wie gesagt die Uraufführung der Meistersinger von Nürnberg am 21. Juni 1868 gewesen. Fast sechs Jahre – zwischen November 1861 und Oktober 1867 – hat Wagner an der »großen komischen Oper« (wie sie im zweiten Prosaentwurf noch heißt, während das Textbuch auf jede Gattungsbezeichnung verzichtet) mit Unterbrechungen gearbeitet. Der erste Prosaentwurf fällt freilich schon in den Marienbader Juli 1845. Die geplante Oper sollte gewissermaßen ein komisches Nachspiel des Tannhäuser werden – jeweils mit dem Thema eines ›Sängerkriegs‹ –, wie Wagner sechs Jahre nach dem Marienbader Entwurf in Eine Mittheilung an meine Freunde schreibt, wo er den Inhalt der Oper bereits detailliert erzählt. »Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel auf die Tragödie folgte, erschien mir […] das Bild eines komischen Spieles, das in Wahrheit als beziehungsvolles Satyrspiel meinem ›Sängerkriege auf Wartburg‹ sich anschließen konnte. Es waren dieß ›die Meistersinger zu Nürnberg‹, mit Hans Sachs an der Spitze.« Dieser ist nicht eigentlich die Hauptperson, sondern der Katalysator der Handlung. »Ich faßte Hans Sachs als die letzte Erscheinung des künstlerisch produktiven Volksgeistes auf, und stellte ihn mit dieser Geltung der meistersingerlichen Spießbürgerschaft entgegen, deren durchaus drolligem, tabulatur-poetischem Pedantismus ich in der Figur des Merker’s einen ganz persönlichen Ausdruck gab.« (GS IV, 284 f.)
Wagner verzichtete vorerst auf die Ausführung des Plans, dessen er sich nur mit einer »Ironie« hätte bemächtigen können (GS IV, 287), die sein poetisch-musikalisches Gestaltungsvermögen zu wenig stimulierte, handelte es sich doch um eine parodistische Variante der romantischen Künstleroper, deren tragischer Erscheinungsform er sich mit dem Lohengrin wieder zuwandte. Ein musikalischer Ironiker konnte und wollte Wagner nicht sein. Zudem fand er o ff ensichtlich keine Möglichkeit, Sachs und den jungen Ritter (der noch keinen Namen trägt) mit der Zunft zu versöhnen, da er in ihr eben nur die »Spießbürgerschaft« sah. (Mit dem authentischen Meistersang – zumal Johann Christoph Wagenseils Von der MeisterSinger holdseligen Kunst [1697] – hat er sich erst in der Zeit nach seinem ersten Entwurf beschäftigt.) Die Meistersinger stehen Sachs mißtrauisch gegenüber, da sie nicht zu Unrecht argwöhnen, dass er es nicht ehrlich mit ihren Kunstregeln meint, die er denn auch dem Ritter mit unverkennbarer »Ironie« erläutert (SS XI, 345 f.). Selbst von seinem »Lob der Meistersingerzunft« am Ende der Oper heißt es, dass er es »halb ironisch, halb ernst« singt (SS XI, 355). Anderthalb Jahrzehnte
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