Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
später wird Wagner ein anderes, positiveres Verhältnis zum Handwerklichen, ›Meisterlichen‹ in der Kunst gewinnen, und so den Gegensatz zwischen Sachs bzw. dem jungen Ritter und den Meistersingern dialektisch vermitteln.
Erst im Herbst 1861 greift er den Plan wieder auf und bietet ihn seinem Verleger Franz Schott am 30. Oktober 1861 an. Gut zwei Wochen später schickt er ihm einen neuen Prosaentwurf zu (dem noch ein weiterer folgen wird). Ende Januar 1862 liegt das Textbuch vor, an dem Wagner in den folgenden Monaten freilich noch Änderungen vornimmt. Die Komposition fällt in die Monate zwischen April 1862 und September 1864 an Wagners Wohnorten Biebrich, Penzing bei Wien und Starnberg und, schließlich, zwischen Januar und Oktober 1867 in Genf und Tribschen. Das Vorspiel hatte schon am 1. November 1862 im Leipziger Gewandhaus unter Wagners Leitung seine Uraufführung erlebt.
Die Meistersinger fallen in mancher Hinsicht aus dem Rahmen der ›kanonischen‹ Werkreihe Wagners vom Fliegenden Holländer bis zum Parsifal heraus, ja sie sind eine Art Rückkehr zu Gattungen, mit denen der frühe Wagner vor dem Fliegenden Holländer experimentiert hat. Zum einen sind sie im Unterschied zu den anderen Musikdramen eine Komödie (wie einst Das Liebesverbot ), zum andern eine historische Oper (wie Rienzi ). Beide Gattungen hat Wagner jedoch endlich aufgegeben – um in den Meistersingern zu ihnen zurückzukehren, wie er diese auch bis zum letzten Prosaentwurf als »Oper« bezeichnet, also mit der Gattungsbezeichnung, die er doch durch »musikalisches Drama« ersetzen wollte.
Der ursprüngliche Entwurf der Meistersinger von 1845 ist noch ein typisches Produkt der Vormärzzeit. An der Stelle des späteren »Wahn«-Monologs des Schopenhauerianers Sachs, der eine poetische Veranschaulichung der Drangsal des ›Willens‹ im Sinne von Wagners Hausphilosophen ist, steht noch die Klage Sachsens über den »Verfall der Poesie«, die wohl durch den Schluss der Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen von Georg Gottfried Gervinus (1835–42) inspiriert ist, der Wagner auch die Grundinformationen über die Meistersinger verdankt. Hier wird das Ende der »schönen Dichtkunst«, über das Wagners Sachs philosophiert, als notwendige Entwicklung verkündet. »Der Wettkampf der Kunst ist vollendet«; jetzt gelte es, das »ruhesüchtige Volk« der Deutschen vom »geistigen Leben«, dem es sich bisher ganz hingegeben habe, »auf das Gebiet der Geschichte«, des politischen Handelns hinüberzuführen. Gedanken wie diese macht Sachs sich mit »wehmütigem Humor« zu eigen. Vom Dichten wolle man jetzt »nichts mehr wissen. Mit anderen Wa ff en als mit Liedern wird man kämpfen: mit Vernunft, mit Philosophie gegen Dummheit und Aberglauben, ja mit dem Schwerte wird man wiederum diese neuen Wa ff en verteidigen.« Und so appelliert Sachs mit der Ironie der Resignation an den jungen Ritter: »Zieht auf euer Schloß, studiert was Ulrich von Hutten und der Wittenberger schrieben, und ist’s dann not, so verteidigt, was ihr lerntet, mit dem Schwerte!« (SS XI, 352)
Wagner hat später in seinem Entwurf mit Bleistift die Verse nachgetragen, die leicht abgewandelt das Schlusswort der Meistersinger auch in ihrer endgültigen Textgestalt bilden werden (GS VII, 271) und sich der Kunstskepsis eines Gervinus, wie sie sein Sachs ursprünglich melancholisch adaptiert, emphatisch entgegensetzen: »Zerging’ das heil’ge römische Reich in Dunst, / uns bliebe doch die heil’ge deutsche Kunst.« (SS XI, 355) Diese Verse in deutscher Schrift müssen spätestens Ende 1848 konzipiert worden sein, da Wagner im Dezember des Jahres zur lateinischen Schrift überging. Sie wirken wie eine Gegenparole zu Heinrich Heines berühmter These vom »Ende der Kunstperiode« aus dem Jahre 1831: »Die jetzige Kunst muß zugrunde gehen, weil ihr Prinzip noch im abgelebten, alten Regime, in der heiligen römischen Reichsvergangenheit wurzelt.« Wagners Gegenthese: Mag das heilige römische Reich auch abgelebt sein, dessen Kunst bleibt unverlierbare Gegenwart.
In seinen Aufzeichnungen Was ist deutsch? (1865–78) hat Wagner die beiden Verse, die er zum ersten Mal in Eine Mittheilung an meine Freunde verö ff entlicht hat (GS IV, 286), gewissermaßen in Prosa übersetzt, wenn er schreibt: »Mit dem Verfalle der äußeren politischen Macht, d. h. mit der aufgegebenen Bedeutsamkeit des römischen Kaiserthumes, worin wir gegenwärtig den Untergang der deutschen
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