Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Herrlichkeit beklagen, beginnt dagegen erst die rechte Entwickelung des deutschen Wesens.« (GS X, 39) Wagner verweist auf das Faktum, dass die deutsche Kultur erst in dem Moment zu Weltbedeutung gelangte, da nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges die ›deutsche Nation‹ fast gänzlich erloschen war.
Die Meistersinger sind gewissermaßen die künstlerische Antwort auf Wagners Frage »Was ist deutsch?«. Das gilt zumal für die so heftig umstrittene Schlussansprache von Hans Sachs – »Verachtet mir die Meister nicht / und ehrt mir ihre Kunst«. Die Kunst blieb, da die Meister sie »grad’ recht nach ihrer Art«, mithin als Selbstzweck gep fl egt haben, im Drange selbst schlimmer Zeiten »deutsch und wahr« (GS VII, 270). Sie wurde eben ›um ihrer selbst willen‹ getrieben: das ist das De fi nitionsmerkmal des ›Deutschen‹, das Wagner in seinem Traktat Deutsche Kunst und deutsche Politik (1867/68) auf eine seiner meistzitierten Formeln gebracht hat: » Deutsch sei […]: die Sache die man treibt, um ihrer selbst und der Freude an ihr willen treiben« – in Opposition gegen alles »Nützlichkeitswesen«, das von Wagner als »undeutsch« bezeichnet wird. Die »Tugend des Deutschen«, eine Sache um ihrer selbst willen zu treiben, falle aber mit dem »höchsten Prinzipe der [Kantschen] Ästhetik zusammen, nach welchem nur das Zwecklose schön ist« (GS VIII, 97).
Nun aber folgt in Sachsens Ansprache die berüchtigte Passage:
Habt Acht! Uns drohen üble Streich’: –
zerfällt erst deutsches Volk und Reich,
in falscher wälscher Majestät
kein Fürst bald mehr sein Volk versteht;
und wälschen Dunst mit wälschem Tand
sie p fl anzen uns in’s deutsche Land.
Was deutsch und ächt wüßt’ keiner mehr,
lebt’s nicht in deutscher Meister Ehr’. (GS VII, 270)
Mit der »falschen wälschen Majestät«, die da »wälschen Dunst mit wälschem Tand« ins deutsche Land p fl anzt, ist kein anderer gemeint als der des Deutschen unkundige Karl V. mit seinem Gefolge spanischer und italienischer Ratgeber, über den Wagner in seinem Traktat Was ist deutsch? schreibt: das »unermeßliche Unglück Deutschlands« sei es gewesen, dass genau zu jener Zeit, da mit der Reformation die historische Stunde des »deutschen Geistes« kam, »das richtige Staatsinteresse der deutschen Völker dem Verständnisse eines Fürsten zugemuthet blieb, welcher dem deutschen Geiste völlig fremd […] war: Karl V., König von Spanien und Neapel, erblicher Erzherzog von Österreich, erwählter römischer Kaiser und Oberherr des deutschen Reiches, mit dem Gedanken der Aneignung der Weltherrschaft, die ihm zugefallen wäre, wenn er Frankreich wirklich hätte bezwingen können, hegte für Deutschland kein anderes Interesse, als dasjenige, es seinem Reiche als fest gekittete Monarchie,
wie es Spanien war, einzuverleiben. An seinem Wirken zeigte sich zuerst das große Ungeschick, welches in späterer Zeit fast alle deutschen Fürsten zum Unverständniß des deutschen Geistes verurtheilte […].« (GS X, 41 f.) Das wirkt wie ein Kommentar zur Schlussansprache Hans Sachsens in den Meistersingern.
Seit Herder (und seinem Gutachten für den Markgrafen von Baden) ist der Niedergang des Deutschen Reiches immer wieder auf die Wahl Karls V. zum Nachfolger Maximilians I. als deutschen Kaisers zurückgeführt worden, das eben in Maximilian seinen letzten glaubwürdigen Repräsentanten (»letzten Ritter«) gefunden habe. Mit seinem Nachfolger hingegen habe aufgrund der Dominanz des Spanischen – später des Italienischen, schließlich des Französischen – die sprachliche Entfremdung zwischen Fürsten und Volk eingesetzt. So habe es kommen müssen, wie Wagners Sachs am Ende der Ära Maximilians prophezeit: dass »kein Fürst bald mehr sein Volk versteht«. Allein die »deutschen Meister«, also Bürger sollen es gewesen sein, die den ›deutschen Geist‹ gerettet haben, während der Adel ihn lange genug verraten habe. Der Bildungsweg Walthers von Stolzing, seine ›Konversion‹ zur bürgerlichen Kultur verhält sich umgekehrt proportional zur bevorstehenden geschichtlichen Entwicklung: der Verachtung des Bürgertums vonseiten des Adels bis hin zur sprachlichen Abgrenzung von ihm. Was der Adel von seinen großzügigeren Lebensformen her für das Bürgertum im Sinne einer gemeinsamen Kultur hätte leisten können, aber durch seine Fremdorientierung an romanischer Sprache und Kultur nach der maximilianischen Ära eben nicht mehr leisten wird,
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