Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Jesu. Was ihm das Christentum so »bedenklich« mache, sei eben die »Möglichkeit der Gründung einer Kirche« (CT II, 1012 f.).
Die »vielfache Beschäftigung mit B[uddha] verhälfe zum Verständnis des Christentums«, bemerkt Wagner Cosima gegenüber am 19. September 1882; »jetzt begännen wohl die Leute zu begreifen, daß Entsagung die höchste heroische Kraft sei« (CT II, 1004). Entsagung ist also für Wagner der ethische Kern des Buddhismus wie des Christentums. Von ihrer buddhistischen Gestalt her fällt das wahrhaft verständnisgebende Licht auf die christliche Moral. Schon in der Zeit seiner ersten intensiven Beschäftigung mit dem Buddhismus unter dem Ein fl uss seiner Schopenhauer-Lektüre hat Wagner in einem ausufernden Brief an Franz Liszt vom 7. Juni 1855 aus Anlass von dessen geplanter Dante-Symphonie Buddhismus und Christentum miteinander verglichen. Die buddhistische Lehre stellt er fast wörtlich in der Sprache von Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung dar. Was beide verbindet – und das wird von Schopenhauer selber ausdrücklich bekundet –, ist die universale Leidenserfahrung, die Einsicht in die leidvolle Verfasstheit der Welt. So übersetzt nun auch Wagner Buddhas »vier edle Wahrheiten« in das philosophische Vokabular Schopenhauers: die beiden Wahrheiten vom Dasein als Leiden und seiner Entstehung aus Triebhaftigkeit und Nichtwissen, die dritte Wahrheit, die in der Entsagung besteht, die vierte schließlich, die durch rechtes Leben, Meditation und Mitleiden zur Aufhebung des Leidens führt: der Weg zur Erlösung von der durch das Karma (die Vergeltungskausalität des Verhaltens im vorherigen Leben) bedingten Kette der Wiedergeburten (Samsara), nämlich im Nirwana, in dem Lebensgier und individuelles Bewusstsein erlöschen und der Zustand ewiger Ruhe erreicht wird.
Abb. 31 : Richard Wagner mit Cosima, Heinrich von Stein, Paul von Joukowsky, Daniela und Blandine von Bülow in Bayreuth, 1882
Das klingt in Schopenhauer-Wagners Sprache folgendermaßen: Die »wahrhaften Genie’s und die wahrhaften Heiligen aller Zeiten« sähen im Dasein nur » Leiden « und fühlten nur » Mit-Leiden . […] Sie erkannten nämlich die normale Bescha ff enheit alles Lebenden und die grauenvolle, sich ewig widersprechende, sich ewig selbst zer fl eischende und blind nur sich wollende Natur des allem Lebenden gemeinsamen Willens zum Leben; die schreckliche Grausamkeit dieses Willens, der selbst zunächst in der Geschlechtsliebe immer nur seine Reproduction will, erschien hier zum ersten male wiedergespiegelt in jenem Erkenntnisorgane, das sich selbst, im normalen Zustande, als jenem Willen unterworfen, von ihm sich gescha ff en erkannte.« Von diesem Dienst sucht das Erkenntnisorgan sich freilich zu befreien, »was schliesslich eben nur in der vollkommenen Verneinung des Willens zum Leben sich erreichte« (SB VII, 207 f.).
Hier ist schon der Lebens- und Läuterungsweg Anandas und Parakritis in dem ein Jahr später von Wagner konzipierten musikalischen Drama Die Sieger, nach einer buddhistischen Legende (WWV 89), ja Parsifals und Kundrys antizipiert. Die Idee der Verneinung des Willens zum Leben bildet für Wagner aber auch die Substanz des eigentlichen, ursprünglichen, noch nicht durch die Kirche korrumpierten Christentums. »Wir sehen noch deutlich im ersten Christenthum die Züge der vollkommenen Verneinung des Willens zum Leben und die Sehnsucht nach dem Untergange der Welt, d. h. nach dem Aufhören des Daseins.« (SB VII, 209) Das Christentum als Zweig des Buddhismus: dieser vor allem von Schopenhauer beein fl usste Gedanke hat Wagner nie mehr losgelassen.
Seine Idee eines buddhistischen Dramas mit dem Titel Die Sieger geht auf eine in der Introduction à l’histoire du buddhisme indien von Eugène Burnouf (Paris 1844) überlieferte Legende zurück. (Wagner hat sich mit dem monumentalen Werk des französischen Indologen in dieser Zeit eingehend beschäftigt.) Den Plan der Sieger hat er in einem knappen Entwurf am 16. Mai 1856 in Zürich niedergeschrieben – in der Zeit zwischen der Komposition der Walküre und des Siegfried. In seinem venezianischen Tagebuch für Mathilde Wesendonck vom 5. Oktober 1858 hat er ihn näher erläutert. Auf seiner letzten Wanderung muss Buddha erleben, dass das Tschandalamädchen Parakriti von heftiger Liebe zu seinem Hauptjünger Ananda erfasst wird und ihn um Vereinigung mit dem Geliebten bittet. Buddha will sie ihr gewähren, aber nicht »im Sinne
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