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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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ihrer Leidenschaft«, sondern indem sie »Anandas Gelübde der Keuschheit« übernimmt. Zunächst bricht Parakriti verzweifelt zusammen, doch durch Buddhas Erinnerung an ihre »früheren Existenzen« (Tagebuch für Mathilde Wesendonck) wird sie geläutert und »beantwortet nun Buddhas letzte Frage [ob sie bereit sei, Ananda in Keuschheit, also sexueller Enthaltsamkeit verbunden zu werden] mit einem freudigen Ja. Ananda begrüßt sie als Schwester.« Sie sind die »Sieger«. Ganz bewusst wählt Wagner diesen missverstehbaren Titel, der auf ein kriegerisches Helden- und Siegertum hindeuten könnte. Doch diesem stellt er ein anderes, das wahre Siegertum gegenüber: dasjenige über den Willen zum Leben. Das Drama sollte mit den letzten Lehren Buddhas schließen, der schließlich »dem Orte seiner Erlösung« entgegenzieht (SS XI, 325).
    In dieses Läuterungsdrama ist als Gegenspiel der Kon fl ikt Buddhas und Anandas mit der brahmanischen Orthodoxie eingeblendet. Ananda wird, o ff enbar aufgrund seines Verstoßes gegen die Kastenregeln, von Brahmanen verfolgt. Sie erheben heftige »Vorwürfe wegen der Befassung Buddhas mit einem Tschandalamädchen«. Buddha geht zum Gegenangri ff über und verurteilt den »Kastengeist«. Und nun erzählt er von Parakritis früherem Dasein: »sie war damals die Tochter eines stolzen Brahmanen; der Tschandalakönig, der sich eines ehemaligen Daseins als Brahmane erinnert, begehrt für seinen Sohn des Brahmanen Tochter, zu welcher dieser heftige Liebe gefaßt; aus Stolz und Hochmut versagte die Tochter Gegenliebe und höhnte den Unglücklichen. Dies hatte sie zu büßen und ward nun als Tschandalamädchen wiedergeboren, um die Qualen ho ff nungsloser Liebe zu emp fi nden; zugleich aber zu entsagen und der vollen Erlösung durch Aufnahme unter Buddhas Gemeinde zugeführt zu werden.« (SS XI, 325)
    Parakritis Buße für ihre Schuld in einer früheren Existenz entspricht also genau Wagners Begründung der Samsara-Lehre in seinem Buddhismus-Brief an Liszt, wo es heißt, jeder Lebende werde »in der Gestalt desjenigen Wesens wiedergeboren, dem er […] irgend einen Schmerz zufügte, damit er selbst diesen Schmerz kennenlerne«, und erst dann würde er vom Verhängnis der Seelenwanderung erlöst, gewänne er die Freiheit von dem immer neue Kausalfolgen aus sich heraustreibenden Karma früherer Existenzen, wenn er in einem neuen Lebenslaufe keinem Wesen mehr Leid zufügte, sondern im »Mitgefühl« mit allen Wesen »seinen eigenen Lebenswillen vollkommen verneinte« (SB VII, 208).
    Es war nicht nur der buddhistische Sto ff als solcher, der Wagner anzog, wie er in Mein Leben bekennt, sondern seine A ffi nität »zu dem in mir seitdem ausgebildeten musikalischen Verfahren«, womit Wagner o ff enbar das Leitmotivverfahren meint. »Vor dem Geiste des Buddha liegt nämlich das vergangene Leben in früheren Geburten jedes ihm begegnenden Wesens o ff en, wie die Gegenwart selbst, da. Die einfache Geschichte erhielt nun ihre Bedeutung dadurch, daß dieses vergangene Leben der leidenden Haupt fi guren als unmittelbare Gegenwart in die neue Lebensphase hineinspielte. Wie nur der stets gegenwärtig mitklingenden musikalischen Reminiszenz dieses Doppel-Leben vollkommen dem Gefühle vorzuführen möglich werden durfte, erkannte ich sogleich, und dies bestimmte mich, die Aufgabe der Ausführung dieser Dichtung mit besondrer Liebe mir vorzubehalten.« (SS XV, 108)
    Man könnte also von einer Geburt des Leitmotivs aus dem Geiste der Metempsychose, der Seelenwanderung, reden. Die Wiederkehr des Leitmotivs in einer neuen dramatischen Situation, das Hineinspielen der Vergangenheit in die Gegenwart, das Gewebe musikalischer Reminiszenzen gleicht für Wagner der Reinkarnation der Seele in einem neuen Körper. Das Leitmotivverfahren als musikalische Palingenesie. »Nur die Musik vermag das wiederzugeben, das Geheimnis der Wiedergeburten«, sagt Wagner am 1. Mai 1870 zu Cosima bezüglich der Sieger , und er demonstriert das an einem konkreten Beispiel. Er wolle in einem Vorspiel zu der eigentlichen Handlung die frühere Existenz des Tschandalamädchens, ihr karmisches Verhängnis (die Verschmähung eines Liebenden) zum musikalischen Ausdruck bringen. Das Leitmotiv chi ff riert also das Karma, das die Wiedergeburt bedingt.
    Wagner hat sich in den folgenden Jahrzehnten immer wieder ernsthaft mit der Verwirklichung dieses Dramenplans getragen. Keiner hat ihn so lange beschäftigt, die Idee keiner anderen seiner

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