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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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»Weltabschieds-Werk« hat Wagner, in Vorahnung seines baldigen Todes, Parsifal im Brief an Ludwig II. vom 10. Januar 1883 bezeichnet (LW III, 257). Das »Bühnenweihfestspiel« wollte er ausschließlich den Bayreuther Festspielen vorbehalten wissen: »Wie kann und darf eine Handlung in welcher die erhabensten Mysterien des christlichen Glaubens o ff en in Szene gesetzt werden, auf Theatern wie den unsrigen vorgeführt werden […]. In ganz richtigem Gefühle hiervon betitelte ich den Parsifal ein Bühnenweihfestspiel. So muß ich ihm denn eine Bühne weihen, und dieß kann nur mein einsam dastehendes Bühnenfestspielhaus in Bayreuth sein. Dort darf der Parsifal in aller Zukunft einzig und allein aufgeführt werden: nie soll der Parsifal auf irgend einem anderen Theater zum Amüsement dargeboten werden«, so Wagner in seinem Brief an Ludwig II. vom 28. September 1880 (LW III, 182 f.). Die seinerzeit sich auf nur dreißig Jahre belaufende urheberrechtliche Schutzfrist machte Wagners Verfügung indessen wenige Jahrzehnte später hinfällig (was einen förmlichen Glaubenskrieg der Wagnerianer gegen die geltende urheberrechtliche Regelung zur Folge hatte), und schon 1903 wurde Parsifal an der New Yorker »Met«, die sich um das deutsche Urheberrecht und den Protest Cosima Wagners nicht scherte, zum ersten Mal außerhalb Bayreuths aufgeführt: der sogenannte »Gralsraub« im Empörungsvokabular der Wagnerianer.
    Der Begri ff des »Bühnenweihfestspiels« hat zu vielen Spekulationen Anlass gegeben. Handelt es sich bei Parsifal um Kunstreligion in säkularem Sinne oder um religiöse Kunst, um ein Ritual mit eigenem O ff enbarungsanspruch – dem mancher Besucher der Uraufführung im Jahre 1882 beizuwohnen wähnte? »Wollen Sie etwa eine Religion stiften?«, lässt Wagner sich am Ende von Religion und Kunst fragen (GS X, 251). Die Antwort hat er im Grunde schon mit dem ersten Satz seines Essays gegeben: »Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werthe nach erfaßt, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen. Während dem Priester Alles daran liegt, die religiösen Allegorien für thatsächliche Wahrheiten angesehen zu wissen, kommt es dagegen dem Künstler hierauf ganz und gar nicht an, da er o ff en und frei sein Werk als seine Er fi ndung ausgiebt.« (GS X, 211)
    Wagner redet von »Allegorien«, sofern Bilder nicht ästhetisch-autonom für sich, sondern nur als Zeichen für »thatsächliche Wahrheiten« stehen, von »mythischen Symbolen« hingegen, sofern jene Bilder »ihrem sinnbildlichen Werthe nach erfaßt« werden sollen, der in jenen Symbolen aufgehoben ist. Damit ist deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Wagner auch den Charakter des Parsifal nicht als ›kirchlich‹ oder als Glaubensangebot verstanden wissen will. Als autonomes Kunstwerk kann das »Bühnenweihfestspiel« sich seine Inhalte weder von einer bestehenden Religionsgemeinschaft vorgeben lassen noch eine solche gründen, die Kunst hat vielmehr von sich aus der Religion frei gegenüberzutreten und sich ihrer Symbole zu bedienen, ohne selber Religion zu werden.
    »Der Weg von der Religion zur Kunst schlecht, der von der Kunst zur Religion gut«, sagt Wagner in diesem Sinne am 13. Januar 1880 zu Cosima (CT II, 476). Cosima hat ganz im Sinne Wagners geurteilt, wenn sie in einem Brief an Otto Eiser vom 20. Februar 1878 die von letzterem gezogene Parallele zwischen Parsifal und Calderóns Autos sacramentales – o ff ensichtlich nach Absprache mit Wagner – abwehrt: »Calderón hat kirchliche Dogmen mit seinem Genius für das Volk dramatisiert, und Parsifal hat mit keiner Kirche, ja mit keinem Dogma etwas gemein […]. Parsifal knüpft an das Evangelium an, und sein Dichter gestaltete und schuf weiter, jedes Bestehende unbeachtend. Der Dichter der Autos ging stets von einem bestehenden Glauben und Lehrsatz aus und ließ den durch allegorische Figuren in ihrem gewiß wunderbar lebendigen Handeln beweisen.« Auch Cosima verwendet mithin den Begri ff der Allegorie, sofern die Figuren nicht für sich selbst stehen, sondern durch einen vorgegebenen Glauben bestimmt sind.
    Die Spekulationen, Wagner wolle mit Parsifal eine neue Religion initiieren, haben sich zumal an dessen Schlussvers »Erlösung dem

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