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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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nicht-vertonten Opern reicht so weit über eine begrenzte Phase seiner künstlerischen Entwicklung hinaus. Noch die allerletzten Sätze, die Wagner niedergeschrieben hat, unmittelbar vor seiner tödlichen Herzattacke, die Schlusssätze seines Aufsatzes Über das Weibliche im Menschlichen kreisen um die Sieger. Wagner stellt hier dem Gesetz der Monogamie die Polygamie als das »natürliche Gattungsgesetz« gegenüber. Ihm bleibe das Weib »nach der Annahme selbst der weisesten Gesetzgeber so stark unterworfen […], daß z. B. Buddha es von der Möglichkeit der Heiligwerdung ausgeschlossen gehalten wissen wollte.« Wagner fährt jedoch fort: »Es ist ein schöner Zug der Legende, welche auch den Siegreich-Vollendeten zur Aufnahme des Weibes sich bestimmen läßt.« (SS XII, 345) Das ist in seinen letzten Lebensminuten noch einmal eine Erinnerung an seinen langjährigen dramatischen Lieblingsplan.
    Warum er diesen schließlich doch nicht verwirklichte, hat er selbst begründet, als er das Gerücht zu dementieren hatte, er plane nach dem Parsifal noch die Komposition und Aufführung der Sieger , die er 1865 in seinem für Ludwig II. aufgestellten Münchner Festspielprogramm tatsächlich für die 70er Jahre angekündigt hatte – als Parsifal noch nicht gedichtet war. Dieser aber hat den Sieger- Sto ff so weitgehend an sich gezogen, aufgesogen und gesteigert, dass für Wagner eine dramatisch-musikalische Bearbeitung nicht mehr denkbar war. Die mittelalterlich-christliche Bildwelt des Parsifal ist freilich ein Transparent, durch das die buddhistischen Vorstellungen und Gestalten immer wieder hindurchscheinen.
    Schon lange vor seiner Beschäftigung mit der indischen Geisteswelt hat Wagner in seiner Schrift Die Wibelungen die »Sage vom heiligen Gral« auf fernöstliche Ursprünge zurückgeführt, in der »Urheimath der Menschen« angesiedelt: »Gott hatte ihn den Menschen als Inbegri ff alles Heiligen zugeführt.« Und Wagner erzählt die Sage, der »Hüter des Grales« sei einst mit dem Heiligtum ins Abendland gezogen und habe hier »große Wunder« verrichtet. In den Niederlanden sei ein »Ritter des Grals« erschienen – wer erkennte hier nicht die Lohengrin-Sage wieder –, dann aber »wieder verschwunden, da man verbotenerweise nach ihm geforscht«. So »sei der Gral von seinem alten Hüter wieder in das ferne Morgenland zurückgeleitet worden; – in einer Burg auf hohem Gebirge in Indien werde er nun wieder verwahrt« (GS II, 151).
    Wagner rekurriert hier auf den (früher Albrecht von Scharfenberg zugeschriebenen) Jüngeren Titurel (um 1260–75), eine Fortsetzung des Titurel-Fragments Wolframs von Eschenbach: nachdem der Gral durch einen Engel Titurel übergeben worden ist, bleibt er etwa 500 Jahre lang in Europa, bis nach dem Tode Lohengrins die Sündhaftigkeit und Verworfenheit der Menschen ein weiteres Verbleiben für den Gral und seine Gefolgschaft dort unmöglich macht. Im utopischen Indien dagegen sind nach Albrechts Kommentar in dieser Dichtung »die besten kristen, die lebnt« (Strophe 325, 4), und so gelangt der Gral tatsächlich in das wahrhaft »gelobte Land«, nach Indien, zurück, wo er seinen letzten und ständigen Aufenthalt nimmt. Das ist die Grundlage für Wagners beschriebene Spekulation: Indien und Europa sind also für ihn im Geiste des Grals eng verbunden. So hat es einen tiefen Sinn, wenn er seinem Parsifal eine buddhistische Ethik unterlegt.
    Der Titelheld des Parsifal entwickelt sich aus anfänglicher Blindheit zu einem buddhistischen Heiligen in christlichem Gewand. Bereits seine Einführung, sein erster Auftritt – noch hinter der Bühne – geht auf eine Buddha-Legende zurück. Parsifal tritt als Jäger auf, der einen Schwan erlegt. Dieser hat nach indischer Vorstellung eine Seele, ja könnte die Reinkarnation eines Menschen sein (wie der hier musikalisch unverkennbar evozierte Schwan des Lohengrin tatsächlich ein verzauberter Mensch ist). In der Legende, die Wagner o ff enbar als Vorlage gedient hat, heilt der Knabe Buddha eine Wildgans, die sein Vetter Devadatta mit einem Pfeil verwundet hat, und macht ihm ähnliche Vorhaltungen wie Gurnemanz im Dialog mit Parsifal. Der Jäger, so Wagner in Religion und Kunst , war dem Brahmanen oder Buddhisten stets »entsetzlich«, und die »Wiedergeburt als Jäger« galt als schrecklichste Vergeltung für »ein besonders sündiges Leben« ( Wollen wir ho ff en? GS X, 120); erst recht aber war ihm »der Schlächter des befreundeten Hausthieres ganz

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