Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Erlöser!« (GS X, 375) entzündet, den man als Geheimformel jener Religion hat entschlüsseln wollen. Der Sinn der umstrittenen, auf die Gnosis zurückweisenden Schlussformel vom ›salvator salvandus‹ lässt sich jedoch aus dem dramatischen Kontext klar erschließen. Dass der »Erlöser« im Parsifal nie ein anderer ist als der im Gral anwesende Jesus, geht aus allen Versen, in denen dieser Begri ff auftaucht (mit einer bemerkenswerten Ausnahme, von der zu reden sein wird) unmissverständlich hervor. Der Schlussvers drückt nichts anderes aus, als dass Parsifal die Bitte der »Gottesklage« (GS X, 359) in seiner Vision nach dem Kuss Kundrys nunmehr erfüllt hat. Als Parsifal sich entsetzt von Kundry losreißt, sieht er das »Heilsgefäß« des Grals vor seinem inneren Auge und vernimmt »des Heiland’s Klage«,
die Klage, ach, die Klage
um das verrath’ne Heiligthum: –
»erlöse, rette mich
aus schuldbe fl eckten Händen!« (GS X, 359)
– den Händen des Amfortas nämlich, des »sündigen Hüters des Heiligtums« (SS XII, 349). Diese »Erlösung« geschieht, indem Parsifal, welcher der Verführung Kundrys nicht erlegen ist und den heiligen Speer zurückgebracht hat, Amfortas als Gralskönig ablöst. Er bringt so »Erlösung dem Erlöser«.
Bedeutet das aber nicht, dass Parsifal ebenfalls ein Erlöser ist, sogar ein größerer als Jesus, der ja der Erlösung durch Parsifal bedarf? Wagner hat indessen im abgeschlossenen Text des Parsifal peinlich vermieden, den Titelhelden als Initiator der Erlösung erscheinen zu lassen. Parsifal ist nicht Subjekt, sondern Medium der Erlösung. Der Erlöser bedient sich des »reinen Thoren«, um sich selbst Erlösung zu bringen. Das ist der Sinn der paradoxen Schlussformel »Erlösung dem Erlöser«.
An einer einzigen Stelle jedoch wird Parsifal tatsächlich selber als »Erlöser« tituliert, als Erlöser aus eigener Kraft. Es ist indessen Kundry, die ihn im zweiten Akt so nennt:
Bist du Erlöser,
was bannt dich, Böser,
nicht mir auch zum Heil dich zu einen?
Seit Ewigkeiten – harre ich deiner,
des Heiland’s – ach! so spät,
den einst ich kühn verschmäht. – (GS X, 360)
Parsifal wird Kundry wirklich zum Erlöser, zum Heiland, zur Wiederverkörperung Jesu, den sie einst auf dem Kreuzweg verlacht hat. Aber so redet die Verführerin; die Erlösung, das Heil stellen sich ihr als geschlechtliche Vereinigung mit Parsifal dar. Er soll sich als Heiland fühlen, ja sie verheißt: »Mein volles Liebes-Umfangen / läßt dich dann Gottheit erlangen!« (GS X, 361)
Kundry spricht hier wie die Schlange des Paradieses. Diese Parallele ist in der Tat von Wagner beabsichtigt. »Die Schlange des Paradieses kennen Sie ja, und ihre lockende Verheissung: eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.« So Wagner über diese Szene in seinem Brief an Ludwig II. vom 7. September 1865 (LW I, 174). Das »eritis sicut Deus« taucht schon im Prosaentwurf von 1865 fast wörtlich auf, wenn Kundry sagt: »umfange mich nun in Liebe, so bist du heute noch Gott selbst!« (GS XI, 409). Was die Schlange Eva verheißt, das also verspricht Kundry Parsifal – wie einst Venus dem Tannhäuser: »ein Gott zu sein« (GS II, 6).
Parsifal ist die Summe von Wagners Lebenswerk, in nahezu sämtlichen Gestalten und wesentlichen Handlungsmomenten eine Rekapitulation seines dramatischen Œuvres. Am deutlichsten sind natürlich Nähe und Kontrast zu der anderen Gralsoper Lohengrin. Bereits vor dessen Konzeption kreisten Wagners Gedanken ja schon um den Parsifal-Sto ff (im Marienbader Sommer 1845). Doch auch auf die anderen romantischen Opern weist Wagners letztes musikalisches Drama zurück. Kundry ist die weibliches Variante des »ewigen Juden«, wie Wagner selbst im ersten Prosaentwurf von 1865 schreibt (SS XI, 404), und so das Pendant zum Fliegenden Holländer, dem Ahasver des Meeres (GS IV, 265 f.). Die auffallendsten Parallelen bestehen freilich zu Tannhäuser . Das künstliche Paradies Klingsors gleicht dem Venusberg, mit Kundry als neuer Venus. Hier wie da verschwindet die Wollusthölle mit einem Schlage beim Anruf des heiligen Namens (Maria) oder beim Zeichen des Kreuzes. Parsifal erfährt den gleichen Dualismus von himmlischer und irdischer Liebe wie Tannhäuser. Doch er ist ebenso ein sublimierter Siegfried, wie dieser vom erotischen Mutterkomplex geprägt, anfänglich gleichfalls ›tumber Tor‹, bald freilich das kraftstrotzende Heldentum seines germanischen Vorfahren überwindend, die physische zur
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