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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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entartet Volk! (GS I, 88)
    Wagner hat diese schro ff en Verse – deren Pessimismus durch das Schlussbild der zurückkehrenden und auf das Volk einschlagenden Nobili noch gesteigert wird – für die Berliner Erstaufführung des Rienzi 1847 gegen eine völlig andere Version vertauscht, welche vor allem durch Cosimas Neufassung der Oper nach Wagners Tod kanonische Gültigkeit erlangen sollte. Hier wird der Fluch auf Rom ersetzt durch eine neue Beschwörung der Idee der ›Roma aeterna‹:
    Wahnsinnig Volk! Wen greift ihr an?
Wie glaubet ihr mich zu vernichten?
So hört von mir das letzte Wort!
So lang die sieben Hügel Romas stehn,
So lang die ewge Stadt nicht soll vergehn,
Sollt ihr Rienzi wiederkehren sehn!
    In einer der großartigsten Selbstinterpretationen, die er je von einem eigenen Werk verfasst hat: in seinem Brief an den Sänger Albert Niemann vom 25. Januar 1859 hat Wagner eindrucksvoll den radikalen politischen Idealismus Rienzis beschrieben, der alle Versuche, Rienzi als Machtmenschen hinzustellen (in dem namentlich Hitler zu Recht sein Vorbild gesehen habe), konterkariert. Wagner grenzt die Haltung Rienzis entschieden von dem beliebten ›Vendetta‹-Motiv in der italienischen und französischen Oper ab. Das »ursprüngliche Motiv der ›Vendetta‹« für die einstige Ermordung seines Bruders werde in Rienzi mehr und mehr von patriotischem Gemeinsinn verdrängt; das zeige bereits die Eingangsszene: »Zuerst tritt R. unter das Volk, gleichsam nur als Friedensstifter, ganz in seiner vollen tiefbewussten Würde. […] Ganz von tödtlichem Haß hingerissen, überstürzt er sich, wie schäumend vor Ingrimm, im Beginn des Recitatives gegen die Nobili. Ganz unwillkürlich dehnt er jedoch sein verletztes persönliches Interesse schnell zu dem des geschändeten Vaterlandes aus; er wächst und wird immer größer und mit den Worten: ›seid ihr noch Römer?‹ steht er wie der Rachegott Rom’s selbst vor den Entarteten. Von nun an hat er seine volle erhabene Ruhe und Würde wieder.«
    Aus der Rache Rienzis soll alles nur Persönliche, Subjektiv-A ff ektive ausgeschlossen werden, nur der Sachwalter Roms will er sein. Eindrucksvoll hat Wagner das in seinem Brief an Niemann demonstriert: »Auf Rienzi hat in der Jugend nichts so stark gewirkt, als die brutale Tötung seines kleinen Bruders durch Kriegsknechte der Nobili, für die er keine Gerechtigkeit erhalten konnte. Vom Rachegefühl hierfür ausgehend und nirgends dafür Befriedigung fi ndend, lernte er nachdenkend die Ursachen davon in dem allgemeinen Elend seiner Zeit und namentlich seines Vaterlandes erkennen. Dieses sich zu erklären, machte er sich mit der Geschichte seines Vaterlandes bekannt; von Quelle auf Quelle zurückgehend, gelangte er auf das römische Alterthum, versenkte sich mit Begeisterung in den Anblick der Hoheit und Grösse des alten Rom’s, und, als er nun sich auf die Gegenwart zurückwendete, ward er den ungeheuren Verfall inne und erkannte da, wo er bisher nur über die Gründe seiner unbefriedigten Rache nachgegrübelt hatte, eine allgemeine Versunkenheit der ganzen Welt, aus der er sie zu befreien beschloss. So ward das ursprüngliche Motiv der ›Vendetta‹ in ihm zu einem geläuterten, schwärmerisch erhabenen Patriotismus, der ihm, indem er das ihm selbst wiederfahrene Leid ganz zurückdrängte, die wunderbare Macht verlieh, die er auf sein Volk eine Zeit lang ausüben konnte.«
    Aus diesem Grunde ist für Rienzi sein einstiger Schwur, sich an den Colonna zu rächen, sofort außer Kraft gesetzt, als sich die Möglichkeit abzeichnet, dass ein Colonna, Adriano, für die Sache der Freiheit Romas zu gewinnen ist. In diesem Moment schwindet das subjektive Rachebedürfnis, wird es vor der römischen Idee zunichte, die das ganze Wesen Rienzis ausfüllt und alles Subjektive, Private auslöscht: »Sei mein, Adriano! Sei ein Römer!« (I, 42) Die Verp fl ichtung zur Rache ist ein fester Bestandteil des feudalen Wertsystems. Man vergleiche nur ein typisches feudales Ehrendrama wie Verdis La forza del destino ( Die Macht des Schicksals ) bzw. dessen spanische Vorlage von Don Angelo Perez de Saavedra, wo die Standesehre und die aus ihr resultierende Rachep fl icht alle anderen menschlichen und überpersönlichen Verp fl ichtungen bricht. Rienzis ›Rache‹ hingegen transzendiert jede private Rücksicht der Person, der Familie, des Standes, ist allein dem überindividuellen und überständischen Interesse Roms verp fl ichtet – während, wie

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