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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Schrift Eine Mittheilung an meine Freunde zufolge »mit rückhaltsloser Verschwendung, nach allen ihren bisherigen Erscheinungen […] zu überbieten« trachtete (GS IV, 258). Diese Überbietung bedeutete jedoch seiner Selbstdarstellung zufolge eine Überwindung der Gattung, die ihm seit der Arbeit am Fliegenden Holländer immer fremder wird. Auch von Rienzi sagt er sich – wie von seinen beiden ersten Opern – bald los. (Seinen »Schreihals« nennt er ihn in einem Brief an Alwine Frommann vom 27. Oktober 1845 und bekennt, dass er dieses »Ungetüm« nicht liebe.) Ein immer wieder nachgesprochenes, ahnungslos gegen die Große Oper gerichtetes Bonmot hat Rienzi bekanntlich als Meyerbeers beste Oper ausgegeben. So nahe Rienzi der Grand Opéra in mancher Hinsicht steht, entfernt er sich doch in anderen Elementen deutlich von ihr. So fehlen die Spezi fi ka der Scribeschen Dramaturgie, wie die geteilte, über zwei Akte sich erstreckende Exposition oder die Dialektik von politischer und privater Handlung, in Wagners Oper ebenso wie der Revolutionspessimismus der reifen Werke Meyerbeers. Die dramaturgische Kardinalidee – die Kontrastierung des großen Einzelnen und der ihm nicht gewachsenen Masse – verdankt Rienzi weit eher Gaspare Spontinis Fernand Cortez (1809), den Wagner selber als eines seiner frühen Vorbilder ausgegeben hat. In seinen Erinnerungen an Spontini (GS V, 86–104) und Mein Leben hat Wagner eindringliche Porträts des Großmeisters der französischen Opera seria gezeichnet, mit dem er 1844 im Zusammenhang mit einer vom Komponisten selber dirigierten und von Wagner inszenierten Aufführung seiner bedeutendsten Oper La vestale (1807) am Dresdener Hoftheater in engeren künstlerischen Kontakt kam.
    Rienzi reißt uns gleich mit dem furiosen Auftakt der Oper mitten in die turbulenten Zustände im Rom des 14. Jahrhunderts hinein. Aus den historischen Quellen ergibt sich ein fi nsteres Bild der von den Päpsten verlassenen, unter den Plünderungen und Fehden des Rauf- und Raubadels leidenden, in Anarchie und Chaos versinkenden Ewigen Stadt. Gleichwohl war in der römischen Bürgerschaft der alte Glaube an die ›Roma aeterna‹ nicht erloschen, die Zuversicht, dass Rom sich wieder verjüngen und wie der Phönix aus der Asche emporsteigen werde. Und der Mann, der über mehr als ein halbes Jahrtausend ein Symbol des Römerstolzes und des nationalen Einheitsgedanken in Italien bleiben wird, ist der historische Cola di Rienzo . Das Gerücht, ein illegitimer Kaiserspross zu sein, hat ihn, den Sohn eines Schankwirts und einer Wäscherin, mit einem charismatischen Nimbus umgeben. Rienzo selber bekam im Alter von zwanzig Jahren unmittelbar die anarchistische Gewalt zu spüren, die das römische Leben beherrschte: Sein Lieblingsbruder wurde erschlagen. Hier bereits wird der Keim von Rienzos Feindschaft mit den Colonna gelegt, die in seiner Ermordung und Schändung im Jahre 1354 ihren grässlichen Abschluss fi nden wird, denn die Colonna versagen ihm nach der Gewalttat an seinem Bruder Gerechtigkeit. Darauf spielt noch Wagners Rienzi bei seinem ersten Auftritt an: »Als zarte Knaben würgt ihr unsre Brüder, / Und unsre Schwestern möchtet ihr entehren!« (GS I, 36)
    Drei Elemente bestimmen den Lebensweg des historischen Rienzo: der prophetische Glaube an seine politische Mission, der in seiner vermeintlichen kaiserlichen Abstammung gründet, die Empörung über die sozialen Verhältnisse Roms infolge der Misswirtschaft der Aristokratie und die Begeisterung für die römische Antike. Die von Wagners Rienzi inszenierte große Pantomime von der Vergewaltigung der Lukretia und der Vertreibung des Tarquinius im zweiten Akt der Oper ist eine Anspielung auf das Verfahren des historischen Rienzo, das Volk durch Bilder seiner republikanischen Vergangenheit auf die Wiedergeburt Roms vorzubereiten. Genial hat Wagner hier drei historische Erscheinungen verquickt. Da ist einerseits das römische Exempeldenken Rienzos und seine plastische Vermittlung an das noch nicht alphabetisierte Volk, da ist anderseits die Wiederkehr dieses Exempeldenkens während der Französischen Revolution, die sich vorzugsweise römisch-republikanisch kostümierte und deren Wortführer ebenfalls das überwiegend aus Analphabeten bestehende Volk durch eine wirkungsvolle einschlägige Bilddidaktik zu erreichen suchten, und da ist schließlich die Subkultur der französischen Boulevard-Pantomime, die Wagner durch ihre Einführung in die ›Große Oper‹

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