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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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1878

    Abb. 10 : Die erste Seite von Richard Wagners Autobiographie »Mein Leben«

    Die literarische Wiederentdeckung Rienzos fi el bezeichnenderweise in die Zeit der Französischen Revolution, die aufgrund ihres Kults der römisch-republikanischen Antike für das ideale Rom Rienzos eine besondere Sympathie empfand und in seinem Kampf gegen die Adelsparteien einen Spiegel der eigenen revolutionären Situation sah. Das erste Rienzo-Drama stammt von dem Jakobiner François Laignelot aus dem Jahre 1791. Die erste englische Bearbeitung des Sto ff es ist die Tragödie Rienzi von Mary Russell Mitford aus dem Jahre 1825. Sie ist auch dem Autor bekannt gewesen, welcher der Gestalt des Volkstribunen vor allem in Deutschland mit einem Schlag Popularität verscha ff t hat: Edward Bulwer-Lytton. Sein dreibändiger Roman Rienzi, or the Last of the Tribunes von 1835 löste eine wahre Flut von Dramatisierungen in Italien, Frankreich und namentlich in Deutschland aus. Die beiden bedeutendsten deutschen Rienzi-Dramen sind zweifellos Wagners Oper, welche die beiden sieben Jahre auseinanderliegenden Herrschaftsperioden Rienzos zu einer einzigen zusammenzieht, und das von ihm »hochgeschätzte« (ML 247) Trauerspiel Cola Rienzi von Julius Mosen, die unabhängig voneinander fast gleichzeitig entstanden und im selben Jahr 1842 erschienen bzw. uraufgeführt worden sind. 1974 kam noch ein überraschender Fund ans Licht der Ö ff entlichkeit: das mit zahlreichen Zeichnungen versehene Fragment eines Opernlibrettos, das der junge Friedrich Engels um 1841 verfasst hat. Auch hier handelt es sich unverkennbar um eine Adaption des Bulwerschen Romans.
    In Eine Mittheilung an meine Freunde hat Wagner seine Begeisterung für den Rienzi-Sto ff folgendermaßen begründet: »Aus dem Jammer des modernen Privatlebens, dem ich nirgends auch nur den geringsten Sto ff für die künstlerische Behandlung abgewinnen durfte, riß mich die Vorstellung eines großen historisch-politischen Ereignisses, in dessen Genuß ich eine erhebende Zerstreuung aus Sorgen und Zuständen fi nden mußte, die mir eben nicht anders, als nur absolut kunstfeindlich erschienen.« (GS IV, 257) Als das Kunstfeindliche schlechthin stellt Wagner sich die Misere des modernen Privatlebens dar, das eigentlich Künstlerische aber ist für ihn das Pathos der Ö ff entlichkeit, der große historisch-politische Fall. In der Tat hat er von der Gestalt Rienzis alles Private gänzlich abgestreift. Dessen einzige gewissermaßen intime Beziehung ist die zu seiner Schwester, aber auch hier handelt es sich nicht um ein ›zärtliches‹ Bruder-Schwester-Verhältnis, sondern um einen durch die gemeinsame Absage an jede private menschliche Beziehung geschlossenen »Bund«, der nichts als Rom zum Inhalt hat, in dem allein »Roma noch zur Stunde lebt« (GS I, 85).
    Anders als bei Bulwer-Lytton (und in der historischen Wirklichkeit) ist Wagners Volkstribun also nicht verheiratet. (Wie erwähnt gibt es bei Wagner so gut wie nie intakte Partner- oder Familienbeziehungen.) Seine Braut heißt einzig Roma. Die Stelle der Frau Rienzos wird bei Wagner durch seine »Heldenschwester« (GS I, 83) ersetzt, die hier weit über ihre Rolle im Bulwerschen Roman hinauswächst. Als Irene, die der Liebe zu Adriano Colonna zugunsten des Bruders entsagt hat, in der zweiten Szene des fünften Akts Rienzi fragt, ob er auch wisse, was das heiße: »einer Lieb’ entsagen«, denn: »du hast ja nie geliebt!«, antwortet Rienzi:
    Wohl liebt’ auch ich! – Oh, Irene,
Kennst du nicht mehr meine Liebe?
Ich liebte glühend meine hohe Braut,
Seit ich zum Denken, Fühlen bin erwacht,
[…]
    Mein Leben weihte ich einzig nur ihr,
Ihr meine Jugend, meine Manneskraft;
Denn sehen wollt’ ich sie, die hohe Braut,
Gekrönet als Königin der Welt: –
Denn wisse: Roma heißt meine Braut! (GS IV, 83 f.)
    Rienzi lebt in der völligen Hingabe an sein ideales Rom, die jede Teilung seines Wesens und seiner Neigung, jede private Sorge und Leidenschaft ausschließt. Die reine Idealität dieses Rom-Bildes kann er schließlich nur noch allein verkörpern – »der letzte Römer« (I, 88). Für den radikalen politischen Idealisten gibt es nur das Alles oder Nichts; da das wirkliche mit dem idealen Rom nicht mehr eins sein will, soll es aufhören zu existieren.
    Furchtbarer Hohn! Wie! Ist dieß Rom?
Elende! unwerth eures Namens!
Der letzte Römer fl uchet euch!
Ver fl ucht, vertilgt sei diese Stadt!
Vermod’re und verdorre, Rom!
So will es dein

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