Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
gelegen hatte – zurückforderte. Dahinter stand das Versprechen des Dresdener Hoftheaters, das neue Werk des nach dem Rienzi -Triumph hochwillkommenen Komponisten baldmöglichst auf die Bühne zu bringen. (Die Berliner Erstaufführung wird unter Wagners Leitung erst im Januar 1844 statt fi nden.) Und so gelangte der Fliegende Holländer am 2. Januar 1843 im Königlich Sächsischen Hoftheater zur Uraufführung, diesmal unter Wagners eigener Leitung, wiederum mit Wilhelmine Schröder-Devrient in der weiblichen Hauptrolle. (Sentas Ballade, das Kernstück der Oper, lag für sie zu hoch, weshalb Wagner sie von a-Moll nach g-Moll transponieren und deshalb auch die Instrumentation modi fi zieren musste.) Der Fliegende Holländer erzielte allerdings beileibe nicht den Erfolg des Rienzi und wurde nach vier Vorstellungen abgesetzt.
Die Initialzündung des Fliegenden Holländers war – was Wagner in Mein Leben später unlauter verschwiegen hat – seine Lektüre von Heinrich Heines Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski (1834) mit ihrer parodistischen Beschreibung eines Schauspiels vom Fliegenden Holländer. Seitdem hat die Holländer-Sage Wagner nicht mehr losgelassen. »Der Sto ff – durch Deinen Namens-Bruder mir längst bekannt«, schreibt Wagner 1843 an seinen Jugendfreund Ferdinand Heine, »erhielt für mich auf meiner berühmten Seefahrt [nach der Flucht aus Riga 1839] und in den norwegischen Scheeren [Schären] eine ganz besondere Farbe und Eigenthümlichkeit« (SB II, 314). In der Autobiographischen Skizze heißt es in gleichem Sinne: »Die Durchfahrt durch die norwegischen Schären machte einen wunderbaren Eindruck auf meine Phantasie; die Sage vom fl iegenden Holländer, wie ich sie aus dem Munde der Matrosen bestätigt erhielt, gewann in mir eine bestimmte, eigenthümliche Farbe, die ihr nur die von mir erlebten Seeabenteuer verleihen konnten.« (GS I, 13 f.)
Wagner setzte sich in Paris, wie er in der Autobiographischen Skizze bekennt, wegen des Plans, »diese Sage zu einem Opernsüjet zu benützen«, sogar »mit Heine selbst« in Verbindung (GS I, 17). Daraufhin schrieb er einen französischen Prosaentwurf, den er der Pariser Großen Oper für 500 Franken verkaufte. Zwei französische Librettisten fabrizierten daraus ein Textbuch, das der Komponist Pierre-Louis Dietsch in Musik setzte. Heine hat anlässlich der gänzlich erfolglosen Uraufführung dieser Oper – von der nur der Titel: Le vaisseau fantôme, ou Le maudit des mers geglückt ist – eine anonyme Besprechung in der Augsburger Allgemeinen Zeitung verfasst (26. März 1843), die zeigt, dass er sich seines schöpferischen Werts in diesem Falle durchaus bewusst war: »Mit Widerwillen sah ich, wie die schöne Fabel, die ein bekannter deutscher Schriftsteller fast mundgerecht für die Bühne ersonnen, in dem französischen Text verhunzt worden.«
Wagner hat in seinem eigenen Fliegenden Holländer die von Heine mundgerecht für die Bühne ersonnene schöne Fabel zweifellos besser zu nutzen gewusst. (Ob Heine den Fliegenden Holländer je kennengelernt hat, ist freilich nicht bekannt.) Die Geschichte vom Fliegenden Holländer ist eine typisch neuzeitliche Sage, die erst im 19. Jahrhundert ihre endgültige Ausprägung erhielt. Sie ist eng verbunden mit dem historischen Hintergrund des holländischen Ostindienhandels und der geographischen Region des Kaps der Guten Ho ff nung, das im Jahre 1497 entdeckt wurde. Der Schwur des Kapitäns van der Decken (so einer der Namen des Holländers), um jeden Preis das Kap zu umschi ff en, wird in der volkstümlichen Überlieferung zum Symbol des hybriden modernen Entdeckergeistes, der die von Bibel und Kirche gesetzten Wissens- und Erfahrungsgrenzen überschreitet. Der Fliegende Holländer ist gleichsam ein Faust des Meeres!
Noch mehr gleicht er einer anderen mythischen Gestalt, mit der Heine und Wagner ihn ausdrücklich in Verbindung gebracht haben: Ahasver, dem Ewigen Juden. Er gehört mit Hamlet, Faust und Don Juan zu den in immer neuen Metamorphosen wiederkehrenden Repräsentanten des Weltschmerzes, den man die Grundstimmung des Zeitalters nennen darf. Bezeichnenderweise häufen sich die Ahasver-Dichtungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch Nikolaus Lenau, der Weltschmerz-Poet par excellence, hat ihm zwei Gedichte gewidmet: Ahasver, der ewige Jude (1833) und Der ewige Jude (1839). Sogar die Große Oper, von der Wagner sich mit seiner musikdramatischen Variante der Sage losgesagt hat,
Weitere Kostenlose Bücher