Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
verkörpert sich bei Wagner im Idealbilde der femme introuvable , der nie zu fi ndenden Frau. Im utopischen Glücksmoment des Fliegenden Holländers wird freilich die nie zu Findende gefunden, das Nochnicht zum Jetzt:
Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten
spricht dieses Mädchens Bild zu mir:
wie ich’s geträumt seit bangen Ewigkeiten,
vor meinen Augen seh’ ich’s hier. – (GS I, 279)
Es wäre zweifellos vordergründig, wollte man in der Unbehaustheit, Heimatlosigkeit des Fliegenden Holländers nichts als die Widerspiegelung der Pariser Notjahre Wagners sehen. Sie ist vielmehr das Stigma des modernen »absoluten Künstlers« überhaupt. Auch dieser Gedanke fi ndet sich in Eine Mittheilung an meine Freunde . Wagner spricht hier in Bezug auf seine romantischen Opern, die im Grunde heimliche Künstlerdramen sind, von der Einsamkeit des reinen Künstlers, von der er doch durch Liebe und Geliebtsein erlöst zu werden strebt. Spiegelt sich in der Handlung des Lohengrin nach Wagner das Scheitern der Ho ff nung des »absoluten Künstlers« auf ›Heimat‹ wider, so kehrt der Fliegende Holländer am Ende zwar nicht wie Lohengrin »vernichtet in seine Einsamkeit zurück« (GS IV, 296), doch die Erlösung vollzieht sich nur, indem Senta ihm in das Element seiner Einsamkeit nachfolgt, d. h. sich ins Meer stürzt.
Wagner hat in seinen Schriften das Meer immer wieder als Bild des »Wesens der Tonkunst« beschrieben, so vor allem in Das Kunstwerk der Zukunft . Häu fi g verbindet sich mit diesem Bild die Situation des grenzenlosen Alleinseins »zwischen Meer und Himmel« und der Sehnsucht nach dem Land: »der immer vorschwebenden und nie doch erreichten Heimath« (GS III, 84). In dieser Bedeutung wird der Seefahrer, wie bei Poe, Swinburne, Baudelaire und anderen Dichtern der Moderne, zum Existenzsymbol des modernen Künstlers überhaupt – in seiner Entfremdung vom ›Leben‹ und seiner Suche nach einer utopischen Heimat.
Dresden – Aufbruch zu neuen Ufern
Der Erfolg des Rienzi , für den er mit 300 Talern abgespeist wird, hat die Geldsorgen Wagners und die Schar seiner Gläubiger nicht zu vermindern vermocht. Immerhin wird er am 2. Februar 1843, einen Monat nach der Uraufführung des Fliegenden Holländers , zum Königlichen Sächsischen Hofkapellmeister ernannt, ein Amt, das er auf begreifliches Drängen seiner Frau, die das ungesicherte Leben am Rande des Existenzminimums satt ist, allerdings ohne Begeisterung antritt, ist es doch eigentlich sein Ziel, als freier Komponist leben zu können. Nun sieht er sich als Musikbeamten mit stattlichem Gehalt, aber vielen alltäglichen Verp fl ichtungen und Querelen, die ihm das Amt zunehmend verleiden. Zum ersten Mal kann er sich eine stattliche Bibliothek zulegen, die seine weitreichenden Interessen spiegelt. Aus ihnen beginnen sich schon die Ideen seiner späteren Kunstschriften und seine dramatischen Pläne herauszuschälen, die – zumal während des Marienbader Sommers 1845 – mit Ausnahme des Tristan bereits alle folgenden Musikdramen bis zum Parsifal vorzeichnen.
Das hat schon Thomas Mann in seinem Essay Leiden und Größe Richard Wagners (1933) mit Bewunderung beobachtet: »Diese vierziger Jahre, in deren Mitte er zweiunddreißig Jahre alt wird, bringen eigentlich vom Holländer bis zum Parsifal den ganzen Arbeitsplan seines Lebens geschlossen zusammen, der in den folgenden vier Jahrzehnten, bis 1881, ineinander verschachtelt, in gleichzeitiger innerer Arbeit an allem ausgeführt wird. Sein Werk hat, genaugenommen, keine Chronologie. Es entsteht zwar in der Zeit, ist aber von vornherein und auf einmal da. Das letzte, als solches weit im voraus erkannt, ausgeführt mit neunundsechzig Jahren, ist auch insofern Erlösung, als es Ende, Ausgang und Vollendung bedeutet und nach ihm nichts mehr kommt; die Arbeit des alten Mannes daran, eines Künstlers, der sich ganz ausgelebt hat, ist eben nur noch Arbeit hieran, – es ist vollbracht, das Riesenwerk, und ein Herz, das unter extremen Zumutungen siebzig Jahre ausgehalten hat, kann in einem letzten Krampf stillestehen.«
Die Serie fi nanzieller Katastrophen riss trotz des einträglichen Kapellmeistergehalts jedoch nicht ab. Wagner konnte zeitlebens nicht mit Geld umgehen, jenem Geld, das er sozialistisch verteufelte, von dem er gleichwohl magisch-dämonisch angezogen war, das er parasitär erschnorren und recht feudal ausgeben konnte. Freilich ist zu berücksichtigen, dass er seit dem Dresdener Rienzi- Erfolg
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