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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Utopie einer demokratischen Theaterarchitektur verbindet. Wagners grundlegender Reformgedanke eines an der griechischen Bühne orientierten Amphitheaters mit aufsteigenden Zuschauerreihen, ohne soziale Abstufungen durch Logen und Ränge, ist auch die Grundidee Sempers. Das 1864 von Ludwig II. in Auftrag gegebene Münchner Festtheater wäre diesen Intentionen gefolgt. Dass es nicht verwirklicht wurde, hat Semper für lange Jahre Wagner entfremdet, den er für das Scheitern des Plans mitverantwortlich machte. Erst das Bayreuther Festspielhaus sollte – ohne Mitwirkung Sempers – die alte Idee eines demokratischen Theaterraums verwirklichen. Semper wurde als Barrikadenbauer einer der führenden Köpfe des Dresdener Mai-Aufstands und musste nach dem Scheitern der Revolution wie Wagner fl iehen.
    Durch Röckel lernte Wagner den russischen Anarchisten Michail Bakunin (1814–1876) kennen, der nach dem Scheitern des Prager P fi ngstaufstandes 1848 nach Dresden kam und sich am Mai-Aufstand 1849 beteiligte. Nach dessen Scheitern wurde er zunächst zum Tode verurteilt, an Österreich und schließlich an Russland ausgeliefert, das ihn nach Sibirien deportierte. Nach abenteuerlicher Flucht aus dem sibirischen Gefangenenlager setzte er seine Aktivitäten bis zu seinem Tod an allen revolutionären Brandherden Europas fort.
    Wagner hat ihm in Mein Leben ein durchaus sympathiegeprägtes Denkmal gesetzt. »Alles war an ihm kolossal, mit einer auf primitive Frische deutenden Wucht.« Obwohl er jedoch die »Zerstörung aller Zivilisation« als Ziel der Revolution predigte, von einem »Weltenbrande« kündete, so entpuppte sich dieser »ungeheuerliche Mensch« doch im privatmenschlichen Bereich »als wirklich liebenswürdiger, zartfühlender Mensch«. Als er bei einer seiner apokalyptischen Reden bemerkt, dass Wagner unter dem grellen Licht einer Lampe leidet, schirmt er es mit seiner riesigen Hand eine Stunde lang von Wagners Augen ab. Und als dieser angesichts des kulturfeindlichen anarchistischen Programms von Bakunin seine Sorge um die Kunst ausspricht, zeigt er sich im Widerspruch zu seiner Ideologie verständnisvoll, lässt sich gar aus dem Fliegenden Holländer vorspielen und -singen (»Das ist ungeheuer schön!«), hört sich die Generalprobe der neunten Symphonie von Beethoven unter Wagners Leitung an und ruft nach ihrem Ende zum Orchester hinauf, »daß, wenn alle Musik bei dem erwarteten großen Weltbrande verlorengehen sollte, wir für die Erhaltung dieser Symphonie mit Gefahr unseres Lebens einzustehen uns verbinden wollten« (ML 397–400). George Bernard Shaw hat später in seinem Essay The Perfect Wagnerite (1898) Bakunin als Modell von Wagners Siegfried ausgegeben, indem er sogar dessen Namen gegen den des russischen Revolutionärs austauscht. Bakunin selber hat nach seiner Verhaftung bei der Vernehmung am 19. September 1849 Wagner freilich als einen »Phantasten« geschildert, mit dem er zwar »auch über Politik gesprochen«, sich aber nie »zu einem gemeinsamen Handeln verbunden« habe.
    Im Juni 1848 hält Wagner im Dresdener Vaterlandsverein als dessen Mitglied eine Rede über die Frage Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königtum gegenüber? Sie ist – wie die in den Volksblättern erschienenen Aufsätze Deutschland und seine Fürsten (SS XII, 414–419) und Der Mensch und die bestehende Gesellschaft (SS XII, 240–244) – eine Kampfansage an ebendiese bestehende Gesellschaft, zumal an den Adel und den »Aristokratismus«. Die Rede erscheint auch anonym als Beilage zum Dresdener Anzeiger – dass Wagner der Verfasser ist, wird bald durchschaut –, woraufhin die Intendanz des Hoftheaters Rienzi vom Programm absetzt.
    Wagner fordert in seiner Ansprache die Abscha ff ung des Zweikammersystems zugunsten nur eines »Hauses der Volksvertretung«, die Scha ff ung allgemeinen und gleichen Wahlrechts und die Einführung einer »allgemeinen großen Volkswehr«. Die Liquidation des Adels soll aber nicht die Abscha ff ung des Königtums sein. Vielmehr soll der (erbliche) König » der erste und allerechteste Republikaner « sein, was sehr an Novalis und seine Aphorismen Glauben und Liebe erinnert, mit anderen Worten » der erste des Volkes, der Freieste der Freien! « An ihm ist es, Sachsen » zu einem Freistaate « zu erklären. Wenn das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung »die volle Emanzipation des Menschengeschlechtes « ist, diese aber zumal darin besteht, dass alle Glieder der Gesellschaft sich

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