Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
des grundbesitzenden Adels – und dem nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählten Abgeordnetenhaus, in dem das Besitzbürgertum dominiert, ein Militär- und Polizeistaat unter Bevorzugung des Adels. Österreich wird als Einheitsstaat quasi absolutistisch regiert. Auch in Frankreich endet die Republik mit dem Staatsstreich Louis Napoleons, der 1852 als Napoleon III. Kaiser der Franzosen wird.
Wagner hat an all diesen Ereignissen glühend Anteil genommen. Er schreibt Revolutionsgedichte, so anlässlich des Maiaufstandes in Wien einen Gruß aus Sachsen an die Wiener (SS XII, 358–361), der auch tatsächlich mit seinem Namen von der Wiener Presse verö ff entlicht wird. Was ihn an den Wiener Aufständen besonders beeindruckt, ist die gemeinsame Sache von akademischer Jugend und viertem Stand: »da ich namentlich die gebildetere Jugend mit dem eigentlichen Arbeiterstande gleichmäßig dabei beteiligt sah«, wie er in Mein Leben schreibt (ML 376). Im Mai 1848 wendet er sich an den sächsischen Paulskirchen-Abgeordneten Wigard mit dem Appell, die Nationalversammlung möge den alten Bundestag aufheben und sich zur »einzigen constituierenden Gewalt« erklären, die »Volksbewa ff nung« durchführen, ein »Schutz- und Trutzbündniß mit Frankreich« bilden und »eine Deutschland einigende Verfassung zu Stande […] bringen«, indem »Hand an die Ungleichheit der deutschen Binnenstaaten« gelegt und eine einheitliche Größe und Struktur derselben gescha ff en werde (ohne zu kleine und zu große Staaten). Das Parlament müsse, so unterstreicht Wagner, » die einzelnen Staaten erst noch vollkommen revolutioniren «. Was aber solle mit den Fürsten geschehen? Sollten sie sich gegen die neue Ordnung der Dinge auflehnen, » so sind sie sammt und sonders in Anklagezustand zu versetzen « (SB II, 590).
Wagners gesellschaftliche Reformideen verbinden sich auf engste mit seinen künstlerischen, zumal mit dem Programm einer Theaterreform. Die ausführlichste Reformschrift ist der Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen , in dem er eine neue Struktur des Dresdener Hoftheaters nach demokratischen Gesichtspunkten entwirft, mit einem vom »aktiven Theaterpersonal« und den Mitgliedern eines zu gründenden »vaterländischen Dichter- und Komponistenvereines« (GS II, 239) mit der Mehrheit der Stimmen zu wählenden Direktor. Im Juli 1848 reist Wagner in das revolutionäre Wien, da er glaubt, dort anders als in Dresden auf o ff ene Ohren für seine Theaterreform-Ideen zu stoßen. Bei den Größen des Wiener Theater- und Musiklebens – wie Eduard Hanslick und Franz Grillparzer – löst sein Reformfuror jedoch eher Befremden als Zustimmung aus.
Der für die revolutionäre Phase in Wagners Leben wichtigste Dresdener Freund ist der Musiker und sozialistische Publizist Karl August Röckel (1814–1876). Er wird 1843 Musikdirektor in Dresden und gibt die radikaldemokratischen Volksblätter heraus, zu deren engsten Mitarbeitern Wagner bald gehört. »Auf die Proudhonschen und anderer Sozialisten Lehren von der Vernichtung des Kapitales durch die unmittelbar produktive Arbeit baute er eine ganz neue moralische Weltanschauung auf, für welche er mich […] insoweit gewann, daß ich nun wieder meinerseits darauf die Realisierung meines Kunstideals aufzubauen begann.« (ML 387) Ein Kunstideal, das seinerseits die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttern und verändern soll.
Während des Dresdener Mai-Aufstandes 1849 wird Röckel verhaftet, zum Tode verurteilt, dann aber zu lebenslanger Haft begnadigt und 1862 nach dreizehn Jahren aus dem Zuchthaus Waldheim entlassen. 1865 verö ff entlicht er die Schrift Sachsens Erhebung und das Zuchthaus von Waldheim. Wagner steht in der Zeit der Inhaftierung Röckels mit ihm dauernd in Kontakt, weiht ihn in seine dramatischen Pläne ein, zumal in die Konzeption seiner Ring -Tetralogie, und sucht ihn später nach München zu holen. 1868 kommt es zum Bruch mit Röckel, da Wagner ihn anzüglicher Ohrenbläserei bezüglich seiner Beziehung zu Cosima von Bülow bezichtigt, sowenig das zum Charakterbild des aufrechten Demokraten passen will. In einem würdigen Brief vom 18. November 1868 hat er sich aus Wagners Leben verabschiedet und seine – nicht zuletzt politische – Entfremdung von ihm bewegend artikuliert.
Ein anderer enger Freund der Revolutionszeit ist der Architekt Gottfried Semper (1803–1879), Erbauer der Dresdener Oper (1841), mit dem Wagner die
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