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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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»wie ein böser nächtlicher Alp« auf dem Alben lastet, um die Formulierungen der Wagnerschen Rede zu variieren.
    In das Frühjahr 1849 fällt ein anderer großangelegter Plan Wagners, auf den schon die Revolution ihren Schatten vorauswirft: das Fragment Jesus von Nazareth (WWV 80). Von ihm berichtet Wagner auch Bakunin, der mit so genialen musikalischen Vorschlägen darauf reagiert wie den Tenor singen zu lassen: »Köpfet ihn!«, den Sopran »Hänget ihn!« und dazu den »Basso continuo« »Feuer, Feuer!« (ML 401). Jesus wird als eine Art Sozial- und Liebesrevolutionär dargestellt, der sich gegen den Besitz als Grundlage der bestehenden Gesellschaft und als Grund ihrer Lieblosigkeit wendet. Er verwirft »das bis jetzt falsch verstandene Prinzip der Gesellschaft, die zunächst dadurch gesichert werden zu müssen schien, daß das Gesetz den Besitz, nicht aber das Wesen der menschlichen Natur in seiner Freiheit beschützte« (SS XI, 288). Mit der Eigentumsgesellschaft lehnt Jesus auch das auf ein Volk begrenzte »irdische Machtreich« ab, das er durch ein Reich universaler Liebe ersetzen will. Er verkündigt »die Erlösung aller Völker durch ihn« (SS XI, 279), seine Brüder sollen »alle Menschen« sein; »nicht durch irdisches Königtum konnte er diese aus dem Elend befreien, nur in der Erfüllung der von ihm erkannten höchsten Sendung, in der Gott sich zum Menschen wandelte, um durch den einen Menschen, der ihn in sich zuerst erkannte, sich allen Menschen zum Bewußtsein zu bringen: die elendesten und leidendsten mußten ihm die nächsten sein: von ihnen aus mußte das Wissen in die Welt kommen.« (SS XI, 285) Jesus übernimmt also die Aufgabe, die sich auch die Götter in der Nibelungensage zum Ziel setzen: ihre Göttlichkeit in den Menschen zu übertragen.
    Knapp einen Monat vor dem Mai-Aufstand in Dresden verö ff entlicht Wagner seinen letzten Beitrag für Röckels – wenige Wochen später verbotene – Volksblätter : es ist der am 8. April 1849 erschienene anonyme Artikel Die Revolution. In ihm gipfelt Wagners Revolutionsrhetorik, die nun auf jede rationale Argumentation verzichtet und sich in einen allegorisierenden Lyrismus hineinsteigert: »Ja, wir erkennen es, die alte Welt, sie geht in Trümmer, eine neue wird aus ihr erstehen, denn die erhabene Göttin Revolution , sie kommt dahergebraust auf den Flügeln der Stürme, das hehre Haupt von Blitzen umstrahlt, das Schwert in der Rechten, die Fackel in der Linken, das Auge so fi nster, so strafend, so kalt, und doch, welche Glut der reinsten Liebe, welche Fülle des Glückes strahlt dem daraus entgegen, der es wagt, mit festem Blicke hineinzuschauen in dies dunkle Auge! Sie kommt dahergebraust, die ewig verjüngende Mutter der Menschheit, vernichtend und beseligend fährt sie dahin über die Erde.« (SS XII, 245)
    Die Revolution bricht in Sachsen – nach vorangegangenen Unruhen – erst in einem Moment aus, als sie andernorts von der Reaktion bereits niedergeschlagen und die Nationalversammlung in Frankfurt gescheitert ist. Auslöser der Erhebung Sachsens ist der Verfassungsbruch König Friedrich Augusts II. von Sachsen: seine Auflösung der gewählten »Kammern«. Am 3. Mai beginnt der Aufstand, Barrikaden werden unter Anleitung Sempers gebaut. König und Regierung fl iehen zur Feste Königstein. Die »provisorische Regierung« wird gebildet. Wagner bezieht einen Beobachterposten auf dem Turm der Dresdener Kreuzkirche, feuert – ebenso wie Wilhelmine Schröder-Devrient vom Erker ihrer Wohnung hinab – die Aufständischen an, verteilt Handzettel, die zur Solidarisierung mit den Aufständischen aufrufen, und mischt, wie schon bei den Leipziger Unruhen 1830, umtriebig mit, ohne dass er anscheinend eine wirklich verantwortliche Rolle gespielt hat. In seinem Brief aus Weimar an den Schauspieler Eduard Devrient vom 17. Mai 1849 hat er seine Rolle beim Mai-Aufstand jedenfalls heruntergespielt: »Nirgends bin ich aber thätig gewesen, weder mit den wa ff en noch mit ö ff entlicher rede: nie habe ich zu der provisorischen regierung eine o f fi cielle stellung eingenommen.« (Durch die Brüder Grimm angeregt, ist Wagner seit Dezember 1848 zur lateinischen Schrift übergegangen und bedient sich bis Juli 1851 der Kleinschreibung.) »So bin ich denn endlich revolutionär geworden – wenn nicht mit der that doch mit der gesinnung«, charakterisiert Wagner sein revolutionäres Engagement (SB II, 666). Als er einmal an einer Barrikade vorbeikommt, ruft ihm ein

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