Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
Vom Netzwerk:
entschwindet aus der Welt. »Entzauberung« hier wie da; die Zeit des Dämonischen wie des Heiligen ist vorbei. Merkwürdig drückt sich das in der Ambivalenz des Schwans aus, der beiden Sphären zugehört. Aus der Machtsphäre Ortruds ist er in diejenige des Grals übergetreten, in dessen Dienst er seiner Entzauberung (in einem Jahr!) entgegensieht. Sie wird als Folge von Lohengrins Gebet vorgezogen, und der Zauberschwan wird durch die Gralstaube abgelöst, die Lohengrin nun heimbegleitet. Die Taube ist das Symbol des nur noch der Transzendenz angehörenden Heiligen, das sich aus der Vermischung mit der irdischen Sphäre, selbst der mythischen, welcher der Schwan angehörte, nunmehr herauslöst.
    Aus dieser Entzauberung geht die säkulare, legitime Herrschaft Gottfrieds hervor, die anders als das rein charismatische, jede institutionelle Festlegung von sich weisende Regiment des »Schützers von Brabant« – der eben nicht »Herzog« genannt sein will (GS II, 90) – auf eine übernatürliche Legitimation verzichten muss. An sie gemahnen freilich noch die drei Symbole des Horns, des Schwerts und des Rings, die Lohengrin dem zukünftigen Herzog vererbt. Wie Goethes Faust von Helena nur Kleid und Schleier als numinosen Rest in den Armen behält, so bleiben diese drei Zeichen des entschwundenen Numens als Reminiszenz an einen Weltzustand erhalten, in dem das Heilige vom Profanen noch nicht geschieden war. Die romantische Oper ist damit an ihr Ende gelangt. Die Entzauberung der Welt lässt es nicht mehr zu, das Mythische unmittelbar aus der historischen Wirklichkeit hervorgehen zu lassen. Der Neuansatz von Wagners Musikdramatik mit und im Ring des Nibelungen wird nun darin bestehen, das Mythische in einer von der Geschichte abgelösten reinen Kunstwelt zur Erscheinung zu bringen, in der es zwar die Geschichte bis in die Gegenwart symbolisch spiegelt, ihr aber nicht mehr angehört.

»Die ewig verjüngende Mutter der Menschheit« – Revolution in Dresden
    Im Februar 1848 kommt es in Paris zu einer neuen Revolution. Der »Bürgerkönig« Louis-Philippe dankt ab und fl ieht. Frankreich ist Republik. Statt des Zensuswahlrechts, das die Besitzenden begünstigt hatte, kommt es zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht. Der Funke der Revolution springt im nächsten Monat sofort nach Deutschland über (Märzrevolution). In den meisten deutschen Staaten brechen Unruhen aus und bilden sich Volksversammlungen – so auch in Sachsen, woraufhin sich der König zu einigen sanften Reformen (wie der Aufhebung der Zensur) bewegen lässt. In Wien wird Metternich in die Flucht geschlagen, die Italiener und Ungarn begehren gegen Österreich auf, in München dankt Ludwig I. ab. In Frankfurt am Main tritt ein Vorparlament zusammen, das den Beschluss zur Berufung eines deutschen Nationalparlaments auf der Basis allgemeiner Wahlen fasst. Am 18. Mai wird schließlich die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche erö ff net, die sich eine deutsche Verfassung zum Ziel setzt. Fast gleichzeitig tritt die preußische Nationalversammlung zusammen. Doch der Gegenschlag folgt allenthalben wenige Monate später. Ende Juli schlägt Feldmarschall Radetzky den Aufstand der Italiener nieder, und im Laufe der kommenden Monate wird die österreichische Herrschaft in Italien wiederhergestellt. Ende Oktober nehmen die kaiserlichen Truppen Wien ein und werfen den revolutionären Aufstand blutig nieder, der Revolutionsführer und Paulskirchen-Abgeordnete Robert Blum wird standrechtlich erschossen; deswegen kommt es in Dresden sogar zu Trauerdemonstrationen. Im November wird die preußische Nationalversammlung aufgelöst und eine Verfassung ›oktroyiert‹.
    Im April 1849 löst sich auch das Frankfurter Parlament, das im Vormonat eine Reichsverfassung mit einer Grundrechteerklärung nach nordamerikanischem Vorbild angenommen hatte, infolge der Ablehnung der Kaiserwahl durch Friedrich Wilhelm IV. auf. Das »gewaltige Reden der allermachtlosesten Menschen«, so Wagner in Mein Leben , verhallt im Nichts. Die Revolution mit ihrem Versuch, einen freiheitlichen deutschen Nationalstaat zu errichten, ist am Widerstand der Fürsten, am Dualismus Österreich-Preußen und an der unauflösbaren Spannung zwischen großdeutscher und kleindeutscher Lösung (mit oder ohne Österreich) gescheitert. In allen deutschen Staaten siegt die Reaktion über die Revolution. Preußen bleibt (bis 1918) mit seinen beiden parlamentarischen Häusern, dem Herrenhaus – mit der Mehrheit

Weitere Kostenlose Bücher