Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
so sei, wie er ihm erschiene. […] Er mußte deßhalb seine höhere Natur verbergen, denn gerade eben in der Nichtaufdeckung, in der Nichto ff enbarung dieses höheren […] Wesens konnte ihm die einzige Gewähr liegen, daß er nicht um dieses Wesens willen nur bewundert und angestaunt, oder ihm […] anbetungsvoll demüthig gehuldigt würde, wo es ihn eben nicht nach Bewunderung und Anbetung, sondern nach dem Einzigen, was ihn aus seiner Einsamkeit erlösen, seine Sehnsucht stillen konnte – nach Liebe , nach Geliebtsein , nach Verstandensein durch die Liebe , verlangte« (GS IV, 295 f.). Das könnte auch eine Deutung Jupiters in Kleists Amphitryon sein, will doch der in der Gestalt Amphitryons verborgene Jupiter Alkmene das Geständnis entlocken, dass sie durch die Gestalt ihres Gatten hindurch keinen anderen als ihn, den Gott, liebt.
Wie Schillers und Kleists Jupiter will Lohengrin nach Wagners Worten » Mensch , nicht Gott, d. h. absoluter Künstler« sein. »Aber an ihm haftet unabstreifbar der verrätherische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Gemeinheit, das Geifern des Neides, wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes; Zweifel und Eifersucht bezeugen ihm, daß er [wo er geliebt werden wollte] nur angebetet wurde, und entreißen ihm das Geständniß seiner Göttlichkeit, mit dem er vernichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.« (GS IV, 296) Diese Einsamkeit aber ist diejenige des ›absoluten Künstlers‹, der dem konkreten Lebenszusammenhang entrückt ist. Das verbindet Lohengrin mit dem Zeus Schillers und Kleists. Schillers Zeus bekennt sich ausdrücklich als »Künstler«, der an seiner Einsamkeit leidet und ärmer ist als seine liebenden Geschöpfe. Wie Pygmalion vor der von ihm gescha ff enen Statue, so will Zeus vor seiner Semele knien, »Mensch unter Menschen sein«. »Ein Wort, und er wirft seine Gottheit ab, / Wird Fleisch und Blut, und stirbt und wird geliebt.« Das aber – die ›Inkarnation‹, Tod und Liebe – ist ihm verwehrt, er muss ›absoluter Künstler‹ bleiben und kehrt mit der O ff enbarung seiner Göttlichkeit – anders als der entsagend-überlegene Jupiter Kleists – ebenso vernichtet in seine Einsamkeit zurück wie Wagners Schwanenritter.
Lohengrin lässt sich mithin wie Schillers Semele und Kleists Amphitryon als Künstlerdrama lesen – Wagner selbst hat ihn so gelesen. Zugleich ist er – als Abschied von der romantischen Oper – die Tragödie der Weltentzauberung. Zwar verkündet Lohengrin in seinen Abschiedsworten eine Blütezeit des deutschen Reichs, und der aus dem Schwan zurückverwandelte Gottfried scheint eine Verkörperung jener Utopie vom erlösenden kindlichen Herrscher zu sein, der von Vergils Vierter Ekloge bis zum »Kinderkönig« in der ersten Fassung von Hofmannsthals Tragödie Der Turm eine lange literarische Tradition hat. Doch dieser Ho ff nungsschimmer am Horizont der einzigen absoluten Tragödie Wagners bedeutet für die tragischen Protagonisten keinen Trost, ja nicht einmal für das Volk, das – dem Chor der attischen Tragödie verwandt – am Ende der Oper in Weherufe ausbricht. Sie sind die Klage über den Rückzug des Göttlichen aus der nunmehr profanierten und säkularisierten Welt. Dieser Rückzug manifestiert sich in Lohengrins Entschwinden »in der Ferne« (GS II, 114), das seiner Epiphanie »in der Ferne« (GS II, 73) im ersten Aufzug korrespondiert. Eine solche Epiphanie wird es in Zukunft nicht mehr geben. Die Welt bleibt sich selbst überlassen, das Heilige zieht sich ganz in die ›Transzendenz‹ zurück.
Schon das Christentum führt im Lohengrin zu einer Entzauberung, der Entmythisierung der Welt. In dieser Hinsicht bewegt Wagner sich auf der Linie der ästhetischen Religionskritik von Schillers Gedicht Die Götter Griechenlandes bis zu Heines Essay Die Götter im Exil , allerdings mit bedeutend anderer Wertung. Es sind hier nicht die Götter Griechenlands, sondern die germanischen Götter, die ins Exil getrieben sind. Der heidnische »Zauber« wird am Ende der Oper besiegt: der von Ortrud in einen Schwan verzauberte Gottfried wird durch den weißen Gegenzauber Lohengrins in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, und Ortrud sinkt »beim Anblicke der Entzauberung Gottfried’s« mit einem Schrei in sich zusammen (GS II, 114), denn diese Entzauberung signalisiert das de fi nitive Ende ihrer Macht. Doch auch das Wunderbare im christlichen Sinn
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