Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Guckkastenbühne brechende modernisierte Shakespearebühne sein, welche auf allen Seiten von Zuschauern umgeben ist.
Kaum weniger bedeutend ist der Ein fl uss Schillers auf Wagners ästhetischen Kosmos. »Wenn man Shakespeare abrechnete«, bemerkt er in einem Gespräch mit Cosima am 3. März 1879, »so sei Schiller der größte Dramatiker.« Die Gespräche mit Cosima bezeugen noch und gerade im Alter eine fast ununterbrochene Beschäftigung mit dessen Werk – seinen ästhetischen Schriften wie seiner Lyrik und Dramatik. Ja, seines Geburtstags wurde in Tribschen und »Wahnfried« alljährlich mit einem kleinen Ritual gedacht. Es ist vor allem das musikalische Element der Schillerschen Dramatik, das Wagner als ihm wahlverwandt empfunden hat. Schillers Drama liegt in seinem kunstgeschichtlichen System ungefähr auf dem gleichen Breitengrad wie die Musik Beethovens. Beide stehen gewissermaßen an der Schwelle des Musikdramas. Wie Beethovens Symphonie, zumal die Neunte mit ihrer Wortwerdung – bezeichnenderweise in Schillers Lied An die Freude – , nach Wagners Theorie über die Grenze der absoluten Musik zum Drama drängt, so das Schauspiel Schillers über die Grenze des »Literaturdramas« (dies sein Terminus in Oper und Drama ) zur Musik.
Die Musikalisierung der Tragödie war für Schiller in der Tat ein nachdrücklich verfolgtes Ziel. In der Vorrede zu seiner Chortragödie Die Braut von Messina (»Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie«), die für Wagners Theorie des antiken Chors und seiner Ablösung durch das moderne Orchester eine bedeutende Rolle gespielt hat, entwickelt Schiller bereits die Idee der Tragödie als eines musikdramatischen Gesamtkunstwerks: »Aber das tragische Dichterwerk wird erst durch die theatralische Vorstellung zu einem Ganzen; nur die Worte gibt der Dichter, Musik und Tanz müssen hinzukommen, sie zu beleben.« Diese Tendenz zur musikalischen Tragödie bahnt sich in der Jungfrau von Orleans schon an, wie Wagner zu Recht empfunden hat. Als er und Cosima 1870 erneut Schillers »romantische Tragödie« lesen, bemerkt Wagner der Tagebuchaufzeichnung Cosimas vom 29. Mai zufolge nach der Lektüre des »Prologs«: »Ja, das drängt alles zur Musik, das will aber nicht etwa sagen, daß das Kunstwerk hier verfehlt sei.« (CT I, 236) Verfehlt wäre es allenfalls, wenn es durch die A ffi nität zur Musik keine in sich vollkommene Poesie darstellte.
Was Wagner hier andeutet, wird er ein Jahr später in seinem Vortrag Über die Bestimmung der Oper näher ausführen. Da bezeichnet er »unsere größten Dichter in einem gewissen Sinne […] als Vorarbeiter für die Oper« (IX, 129). Er bezieht sich namentlich auf Goethes und Schillers Briefwechsel, so auf den Brief vom 29. Dezember 1797, in dem Schiller Goethe seine Ho ff nung auf eine »Verdrängung der gemeinen Naturnachahmung« durch die Oper erläutert: »Ich hatte immer ein gewisses Vertrauen zur Oper, daß aus ihr wie aus den Chören des alten Bacchusfestes das Trauerspiel in einer edlern Gestalt sich loswickeln sollte. In der Oper erläßt man wirklich jene servile Naturnachahmung […]. Die Oper stimmt durch die Macht der Musik und durch eine freiere harmonische Reizung der Sinnlichkeit das Gemüt zu einer schönern Empfängnis, hier ist wirklich auch im Pathos selbst ein freieres Spiel, weil die Musik es begleitet.« Auf dem Wege der Oper könnte sich also »das Ideale auf das Theater stehlen« – das dort durch die modische bürgerliche Dramatik verdrängt worden ist. Wagners Worte von dem auf die Musik zusteuernden »idealen Pathos« (CT I, 236 f.), durch das Goethe und Schiller die deutsche Bühne von der »gemeinen Realistik« befreien wollten, zeigen, dass er auch in dem zitierten Gespräch mit Cosima über die Jungfrau von Orleans den ›Opernbrief‹ Schillers vor Augen gehabt hat. Obwohl die Jungfrau von Orleans das in Wagners Œuvre resonanzreichste Drama Schillers gewesen ist, gehört seine größte Bewunderung aber der Wallenstein -Trilogie, die er gar, einer Aufzeichnung Cosimas vom 13. Mai 1870 zufolge, später einmal in Bayreuth aufzuführen ho ff t.
Liszt wusste von Wagners A ffi nität zu Goethe und Schiller, und das war für ihn die Garantie für seinen Versuch, mit ihm zusammen die epochale Künstlerfreundschaft der beiden Dichter in der Allianz zweier Dichterkomponisten wieder auferstehen zu lassen. Liszts Bemühung, in Weimar eine neue Blütezeit der Kunst in den Spuren der Weimarer Klassik heraufzubeschwören,
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