Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Tannhäuser wiederholt zur Aufführung im Hoftheater, sondern anlässlich der Feier von Goethes Geburtstag wird am 28. August – nach dem »Prolog« von Franz Dingelstedt »Zur Goethe-Feier« – Lohengrin uraufgeführt. Der steckbrieflich verfolgte Komponist selber ist freilich nicht zugegen. In seiner großen französischen Abhandlung Lohengrin et Tannhaüser (1851), die gewissermaßen eine Summe der Weimarer Aufführungen der beiden romantischen Opern zieht, hat Liszt diese in seiner Einleitung dezidiert in die Weimarer Kulturtradition eingebettet, als Fortsetzung ihrer klassischen Epoche interpretiert. Für Wagner selber ist Weimar, das »Weimarische Wunder«, wie er selbst einmal sagt (GS VIII, 39) – die Verwirklichung einer Weltkunst im Rahmen der Provinz, geschützt von einem fürstlichen Mäzen –, stets ein kulturpolitisch-ästhetisches Ideal gewesen, das er schließlich in Bayreuth als einem anderen, neuen Weimar zu verwirklichen strebt.
Die Bedeutung der Weimarer Klassik für Wagners künstlerisches Selbstverständnis ist kaum zu überschätzen. Goethe ist für ihn neben Beethoven zeitlebens die paradigmatische Gestalt der deutschen Kultur. So hat er in seinem Programm für die Dresdener Aufführung der neunten Symphonie im Jahre 1846 den musikalischen Ablauf derselben durchgängig in Verse aus dem Faust übersetzt und die beiden Gipfelwerke der deutschen Kultur (in Wagners Augen) dergestalt miteinander verschränkt. Seine Beschäftigung mit Goethe zieht sich als roter Faden durch seine Schriften, Briefe und Gespräche – aber auch durch seine dramatischen Dichtungen – von der Jugend bis ins Alter. Zumal die immer neue Lektüre des Faust gehört zu den großen Kontinuitäten in Wagners Leben, wobei seine Bewunderung in seinen letzten Lebensjahren besonders der »Klassischen Walpurgisnacht« des zweiten Teils gehört. Doch ist vor allem die Begegnung mit der Schlussszene des Faust eines der lebensanschaulichen und ästhetischen Urerlebnisse Wagners, auch wenn er gegenüber den inhaltlichen Tendenzen des zweiten Teils der Tragödie – ihrer Verstrickung in Politik und zivilisatorische Welt – einige Vorbehalte gehabt hat.
Nicht zu vergessen sind auch seine eigenen Versuche, eine Musik zum Opus summum Goethes zu fi nden: die noch zu dessen Lebzeiten entstandenen Sieben Kompositionen zu Goethes ›Faust‹ (1831) und Eine Faust-Ouvertüre (1840), die er nicht zuletzt auf Liszts Anregung 1855 überarbeitet. Sie hat wiederum Liszts Eine Faust-Symphonie (1854/57) inspiriert. Beide Werke tragen im Titel den unbestimmten Artikel, um zum Ausdruck zu bringen, dass der Musik immer nur ›eine‹ Annäherung an Goethes inkommensurables Opus summum, aber niemals ›die‹ Vertonung desselben gelingen kann.
Wagner hat seine Konzeption des Musikdramas in den Gesprächen mit Cosima wiederholt mit Faust in Verbindung gebracht. Immer wieder bezieht er sich auf Goethes Äußerung über die »barbarischen Avantagen« in seinen Anmerkungen zu Rameaus Ne ff e , auf die der moderne Künstler nicht verzichten könne. Als Cosima in einem Gespräch am 8. Februar 1872 diese Äußerung wieder einmal erwähnt, bemerkt Wagner: »Ja, der Faust , die 9te, die Passionsmusik von Bach sind solche barbarischen Werke, d. h. solche, die als Kunstwerke nicht mit einem griechischen Apollon oder einer gr[iechischen] Tragödie verglichen werden können.« Ihnen rechnet er auch seine Konzeption des »Kunstwerks der Zukunft« zu (CT I, 488). Die Parallele zwischen der neunten Symphonie, Faust und dem musikalischen Drama zeigt, dass die fehlende Vollendung im Sinne des griechischen Kunstideals, dass die »barbarische« Abweichung vom normativen klassischen Modell nach Wagners Überzeugung eine neue und höhere ästhetische Gesetzmäßigkeit o ff enbart. Eben das Normabweichende der Form bedeutete im Falle des Faust wie des Ring für Wagner auch einen notwendigen Bruch mit den Theaterkonventionen. Von Anfang an hat er die Tetralogie für zukünftige Festspiele gedacht, deren Aufführungsbedingungen sich radikal vom Repertoirebetrieb unterscheiden sollten. Und es ist bezeichnend, dass Wagner der Überzeugung war, dass auch für Goethes Faust ein eigenes Theater erforderlich sei, das ebenso wie das Bayreuther Festspielhaus mit den Konventionen brechen müsste. Dieses »Faust-Theater«, dessen Idee Wagner in seinem Aufsatz Über Schauspieler und Sänger (1872) sowie in den Gesprächen mit Cosima entwickelt hat, soll eine mit der traditionellen
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