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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Wagners zu beschreiben – o ff enkundig, um zu verdeutlichen: Auch eine der beiden Säulen der Weimarer Klassik hatte revolutionäre Wurzeln, wie eben jetzt Wagner. Ihn sucht er auf diese Weise in Weimar ›hoffähig‹ zu machen, wie es Schiller seinerzeit auch vergönnt war.
    Wagner hat an Liszts Projekt lebhaft Anteil genommen, lehnte aber seine Ausdehnung auf alle Künste ab. Seine Gründe hat er in einem ausführlichen Brief an Liszt vom 8. Mai 1851 dargelegt, den er zumal auf Bitten des Freundes mit einigen Änderungen unter der Überschrift Ein Brief an Franz Liszt über die ›Göthe-Stiftung‹ am 5. März 1852 in der Neuen Zeitschrift für Musik verö ff entlichte. Wagner bekennt unverblümt, dass er einer Realisierung der Goethe-Stiftung im Sinne Liszts skeptisch gegenübersteht. »Bei der gänzlichen Zersplitterung unserer Kunst in einzelne Künste , spricht jede dieser Künste die Suprematie für sich an« – und wird sich daher für die jeweils »unterstützungsbedürftigste« halten. Wagner folgt hier dem für seine Reformschriften im Züricher Exil grundlegenden Gedanken einer notwendigen Integration der Künste nach dem Modell des »Gesamtkunstwerks« – der Dichtung, Musik und Tanz integrierenden musiké – der griechischen Tragödie. Damit bezieht er sich freilich nur auf die Zeit-, nicht auf die Raumkünste, also auf das Drama als die für ihn höchste Kunstform.
    Für die Raumkünste präsentiert er in seinem Brief an Franz Liszt jedoch ein anderes Modell des Gesamtkunstwerks, in dem die Architektur die Rolle der Dichtung im dramatischen Kunstwerk übernimmt. Hier berühren sich seine Gedanken mit den verwandten Ideen seines Freundes und Kampfgenossen der Dresdener Revolution: Gottfried Semper, der die Baukunst als Medium der Integration der Einzelkünste ansah. Angesichts des wahrhaft verwirklichten dramatischen Kunstwerks würden die bildenden Künstler, so der Blick der Ho ff nung Wagners in die ästhetische Zukunft, vielleicht einsehen, dass ihre Werke nur » Bruchstücke der Kunst« sind, »und darauf gerathen, daß sie diese Bruchstücke ebenfalls zu einem Ganzen vereinigen müßten«. Für dieses Ganze aber wäre – wie im Drama der Dichter – der Architekt zuständig, den Wagner den »eigentlichen Dichter der bildenden Kunst« nennt (GS V, 17). Dichtung und Architektur sind für Wagner also die integrierenden Künste, welche die Kunst aus ihrer verhängnisvollen Zersplitterung zu neuer Einheit führen; zwei Kreise, die sich aufs engste berühren.
    Doch davon sind sie noch weit entfernt. Die Dichtkunst sei heute nichts als »Litteratur« (V, 6 f.): mittels des Buchhandels vertriebene Ware, nicht weniger als die Musik. Die Vokabel ›Literatur‹ verwendet Wagner stets in verächtlichem Sinne: für eine sich selbst zur Ware degradierende Kunst. Eine solche aber kann sich tatsächlich selbst auf dem Markt erhalten. Die bildende Kunst dagegen hat es schwerer. Zwar kann sie in Gestalt von Kupferstich oder Lithographie auch »Litteratur«, d. h. durch den Kunsthandel vertriebene Ware werden, aber ihr höchstes ästhetisches Ziel erreicht sie nur im »plastischen Original«, das eben nur »in einem Exemplare« besteht. Ihr Existenzproblem ist also, »daß ihre Kunstprodukte in Originalexemplaren bestehen, die nicht vervielfältigt werden können, ohne ihre wirkliche künstlerische Eigenschaft zu verlieren« (GS V, 6 f.).
    Zu ebendiesem einmaligen Dasein – an einem ganz bestimmten, unverwechselbaren Ort – aber will Wagner auch das dramatische Kunstwerk zurückführen; das bedeutet, es von seinem Warencharakter zu befreien, der beliebigen Reproduzier- und Wiederholbarkeit, dem marktgerechten Verschleiß des Repertoiretheaters zu entziehen. Wagner strebt nach dem an der Einmaligkeit des Bildkunstwerks orientierten » Originaltheater « (GS V, 18), das nur ein vom Repertoirebetrieb abgehobenes Festtheater sein kann und die Ein heit der Aufführung zum Ziel hat. Dass ihm hier Weimar leuchtend vor Augen schwebt, hat er im Original seines Briefs an Liszt deutlich zum Ausdruck gebracht. Und Liszt hat mindestens ein Jahrzehnt lang alles darangesetzt, Wagner das von ihm erstrebte Originaltheater in Weimar zu ermöglichen, auf dem der Ring des Nibelungen zur Aufführung gelangen sollte. Dieser Plan scheiterte nicht am Hof, nicht am Großherzog – der Wagner von Jugend an gewogene Carl Alexander wird 1876 zu den ersten Besuchern der Bayreuther Festspiele gehören –, sondern am politischen

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