Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
gipfelte in einem monumentalen Plan, der die Gemüter der Zeit weit über Deutschland hinaus bewegte: dem Projekt einer »Goethe-Stiftung«, die Weimar erneut zur Kunstmetropole machen, seinen Ruf als »Neu-Athen« erhalten und ihm »einen zentralisierenden Ein fl uß auf dem Gebiete der Literatur und der Künste […], einen Charakter deutscher Einheit« geben sollte (so Liszt in einem Brief an den Großherzog Carl Alexander am 3. Februar 1860).
Im Vorfeld von Goethes 100. Geburtstag 1849 war die von führenden deutschen Künstlern und Gelehrten verfasste »Aufforderung zu einer allgemeinen deutschen Göthefeier« in der Presse erschienen, die sich eine nationale Institution zur Förderung der Künste zum Ziel setzte. Dieser Aufruf inspirierte Liszt zu seinem umfangreichen, in mehreren Entwürfen und Varianten vorliegenden Projekt einer in Weimar angesiedelten Nationalstiftung der Kunst. Eine neue »Olympiade der Künste« entwarf Liszt da, anlässlich der in jährlichem Wechsel Wettbewerbe in den verschiedenen Künsten ausgelobt werden sollten. Dieser Plan fällt freilich in ein Jahr von verhängnisvoller politischer Bedeutung: es ist das Jahr des Scheiterns der Frankfurter Nationalversammlung. Der Aufruf zu einer Goethe-Stiftung suchte im schwarzen Loch der allgemeinen Depression ein Licht der Ho ff nung anzuzünden. Wenn schon die nationale Identität der deutschen Staaten politisch nicht zu verwirklichen war, so sollte sie doch zumindest kulturell hergestellt werden.
Mit dem Ende der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche war die deutsche Frage politisch noch nicht gestorben, wenngleich ihre republikanische Lösung nun nicht mehr auf der Tagesordnung stand, sondern allenfalls eine solche ›von oben‹. Die nun betriebenen preußischen Unionsbestrebungen weckten auch bei den desillusionierten Republikanern Ho ff nungen auf eine alternative Lösung, bei der Weimar eine Schlüsselrolle hätte spielen können. Durch die Einberufung des von Preußen initiierten Unionsparlaments nach Erfurt wurde sie unmittelbar zu einer Staatsangelegenheit des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Da kam Liszts Entwurf einer Goethe-Stiftung gerade recht. Ein in Berlin zusammentretendes Komitee entschied sich in der Tat für Liszts Projekt, und geplant war, die »Goethe-Stiftung« an Goethes Geburtstag 1850 ins Leben zu rufen – wozu es aufgrund der politischen Entwicklung nicht kam; stattdessen wurde Wagners Lohengrin an diesem Tag in Weimar uraufgeführt.
Das Erfurter Unionsparlament, das nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung eine Verfassung für ein kleindeutsches Reich unter preußischer Führung erreichen wollte, tagte vom 20. März bis zum 29. April 1850. In diese Zeit fi el auch jene Aufführung des Tannhäuser , zu der Großherzogin Maria Pawlowna die Erfurter Parlamentarier einlud – ein hochrepräsentativer Akt: Tannhäuser wurde hier wirklich als ›Staatsoper‹ präsentiert, im Sinne einer Selbstdarstellung des Großherzogtums, das seinen Herrschaftsbereich in der fi ktiven Wartburg gespiegelt sah, und in der Ho ff nung auf eine Union der deutschen Staaten. Eine Paradoxie war es freilich, dass ausgerechnet das Werk eines polizeilich verfolgten Aufrührers diese hochsymbolische politische Rolle spielen sollte. Gegen die Unionspläne setzte sich Österreich entschieden zur Wehr. In der »Olmützer Punktation« zwang es, unterstützt vom russischen Zaren, Preußen im November 1850 zur Aufgabe der Unionspolitik. Damit hatte aber auch die Goethe-Stiftung als geistiges Bindeglied der unierten deutschen Staaten ihre politische Basis verloren.
Von welcher kulturellen Spannweite Liszts Idee war, zeigt die Tatsache, dass er die Goethe-Stiftung zum ersten Mal 1849 in Frankreich im berühmten Journal des Débats ankündigte. Aus diesem Entwurf ging Liszts Denkschrift und schließlich sein Buch De la Fondation-Goethe à Weimar im Jahre 1851 hervor. In der französischen Erstfassung spielt bereits Wagner als Schlüssel fi gur der Stiftung eine Rolle, die Liszt später wegen der revolutionären Aktivitäten des steckbrieflich Gesuchten verschleiert. Insgeheim bringt er ihn mit Schiller in Verbindung, dem die französische Nationalversammlung seinerzeit im Jahre eins der Republik als »einem Freund der Menschheit und der Gesellschaft« die Bürgerrechte verliehen hatte. Liszt gibt die von Roland und Danton unterzeichnete Urkunde in vollem Umfang wieder, um dann die tiefe A ffi nität Schillers und
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