Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
worden). Mitte Dezember 1852 ist der Ring des Nibelungen abgeschlossen und erscheint im folgenden Jahr als Privatdruck in 50 Exemplaren, der nur näheren Bekannten zugänglich gemacht wird – u. a. auch Schopenhauer, der den Text genau liest und mit höchst ironischen, ja sarkastischen Randkommentaren versieht. Mitte Februar rezitiert Wagner im Züricher Hotel Baur au lac vor einer eingeladenen Zuhörerschaft die ganze Ring- Dichtung.
Am 1. November 1853 beginnt Wagner mit der Komposition des Rheingold. Am 26. September 1854 schließt er die Partitur ab. Gleichzeitig arbeitet er bereits an der Komposition der Walküre , deren Partitur er am 23. März 1856 vollendet. Zwischen September 1856 und August 1857 komponiert er am Siegfried , dem dritten Teil der Tetralogie; die Partitur des ersten Akts wird im März 1857 abgeschlossen, der zweite Akt bleibt als Kompositionsentwurf bis zum Dezember 1864 liegen. Wagner unterbricht die Arbeit am Ring durch die Dichtung und Komposition von Tristan und Isolde (1857–59) und die Meistersinger von Nürnberg (1861–67). Die in den Jahren der Beschäftigung mit den Meistersingern freilich schon wieder vorgenommene Partitur des zweiten Siegfried- Akts wird im Februar 1869 fertiggestellt, die Partitur des Schlussakts ist am 5. Februar 1871 vollendet. In die Zeit zwischen Oktober 1869 und November 1874 fällt die Komposition der inzwischen so genannten Götterdämmerung. Am 21. November 1874 ist der gesamte Ring musikalisch abgeschlossen.
Unter dem Ein fl uss Schopenhauers, dessen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung er seit Herbst 1854 liest – zu diesem Zeitpunkt ist die Partitur des Rheingold schon abgeschlossen, die Kompositionsskizze zur Walküre bereits bis zum 2. Akt gediehen –, revidiert Wagner den Text der Ring -Dichtung, ohne ihn jedoch – mit Ausnahme des Schlusses – substantiell zu verändern. Die beiden letzten Teile der Tetralogie erhalten 1856 die Titel Siegfried und Götterdämmerung . Wagner entwirft einen neuen resignativen, schopenhauerianisch-buddhistischen Schluss, den er jedoch zunächst nicht verö ff entlicht und auch nicht vertonen wird, obwohl er sich bis zum letzten Moment damit getragen hat. Auch der ursprüngliche liebesutopische, ›feuerbachianische‹ Schluss wird – außer in einer Privatkomposition für Ludwig II. – nicht vertont, sondern durch einen neuen Text ersetzt, der nach Wagners Worten (der die beiden unvertonten Fassungen in den Gesammelten Schriften und Dichtungen ebenfalls abdruckt) nicht »in sentenziösem Sinne die musikalische Wirkung des Drama’s im Voraus zu ersetzen versucht« (GS VI, 255). Im Jahre 1863 erscheint die erste, 1873 die zweite ö ff entliche Ausgabe der Ring -Dichtung – ohne jenen neuen, sondern mit dem ursprünglichen ›feuerbachianischen‹ Schluss.
Abb. 16 : Arthur Schopenhauer (1788–1860)
Am 22. September 1869 fi ndet gegen den Willen Wagners auf Befehl Ludwigs II. am Münchner Hof- und Nationaltheater die Uraufführung des Rheingold statt, am 26. Juni des nächsten Jahres folgt die Uraufführung der Walküre. Wagners Protest gegen beide Aufführungen gründen vor allem in seinem Wunsch, die gesamte Tetralogie als Festspiel zur Uraufführung zu bringen, eine Idee, die von Anfang an mit der Konzeption des vierteiligen Werks verbunden ist. Zur Uraufführung des integralen Rings kommt es im August 1876 bei den ersten Bayreuther Festspielen. So weit der verschlungene Weg von Wagners Lebenswerk.
In seinem Vortrag Richard Wagner und ›Der Ring des Nibelungen‹ (1937) hat Thomas Mann die Genese des Werks, dessen immanente Tendenz: »Zurück zum Anfang, zum Anfang aller Dinge und ihrer Musik!«, die Ausdehnung der einen Oper zum »vier Abende füllenden Weltepos« eindrucksvoll nachgezeichnet und begründet. Nicht das Drama als solches, sondern die Musik sei »schuld« gewesen an dem, »was Wagner mit dem Sto ff widerfuhr«. Dieser selbst hat ja betont, dass die ausgedehnte Vorgeschichte von Siegfried’s Tod die szenische Gegenwart zu stark überlagert hätte. Beim Sprechdrama wäre das kein Einwand, ist es doch ein Strukturmerkmal seiner klassischen Form, nur das letzte Glied einer Ereigniskette auf die Bühne zu stellen und die Vorgeschichte rekapitulierend in die Bühnenhandlung einzubeziehen. Ins Drama hätte Wagner mit der Last der Vorgeschichte also getrost eintreten können, so Thomas Mann – doch: »In die Musik konnte er nicht eintreten, denn auch sie mußte ihre Vorgeschichte
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