Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
zugunsten der Bearbeitung der Siegfriedsage auf: die Entscheidung für den Mythos gegen die Geschichte, von deren Inkompatibilität mit der reinen dramatischen Form er sich allmählich überzeugt habe – so seine spätere stilisierende Selbstdarstellung in Eine Mittheilung an meine Freunde ; GS IV, 312 ff .) Am 4. Oktober desselben Jahres vollendet er den Prosaentwurf der Nibelungensage (Mythus) . In unmittelbarem Anschluss schreibt er den Arbeitsentwurf zu der »Heldenoper« Siegfried’s Tod nieder (abgeschlossen am 20. Oktober). Die Urfassung des Dramas folgt im November, die Reinschrift im Dezember 1848. Revolution und Flucht sowie die als ästhetischer Ertrag der Revolution gedachten Schriften Die Kunst und die Revolution und Das Kunstwerk der Zukunft drängen im folgenden Jahr den Nibelungenplan in den Hintergrund.
Der Versuch, Siegfried’s Tod in Musik zu setzen, wird von Wagner im August 1850 nach mehreren Anläufen abgebrochen. Die Gründe hierfür, die Erweiterung der einen Oper zum Doppeldrama – im Mai 1851 schreibt er den Prosaentwurf zu Der junge Siegfried nieder, im nächsten Monat die Urfassung dieser Dichtung –, schließlich die Konzeption der Ring -Dichtung als vierteiliges Werk (Oktober 1851) hat Wagner in Briefen an Theodor Uhlig und Franz Liszt vom November 1851 eindringlich stilisierend dargelegt. Er habe zunächst, schreibt er an Uhlig, »den ganzen mythos in seinem großartigen zusammenhange« entworfen (eben in dem Entwurf der Nibelungensage ), dann habe er im Blick auf das gegenwärtige Theater und der Konvention des klassischen Dramas gemäß den Versuch unternommen, »eine hauptkatastrophe des mythos mit der andeutung jenes zusammenhanges zu geben. Als ich nun an die volle musikalische ausführung ging, […] fühlte ich das unvollständige der beabsichtigten erscheinung: es blieb eben der große zusammenhang, der den gestalten erst ihre ungeheure, schlagende bedeutung giebt, nur durch epische erzählung, durch mittheilung an den Gedanken übrig. Um daher ›Siegfrieds tod‹ zu ermöglichen, verfaßte ich den ›jungen Siegfried‹: je bedeutender aber dadurch das Ganze sich schon gestaltete, desto mehr mußte mir jetzt, als ich an die scenisch-musikalische ausführung des ›jungen S.‹ ging, einleuchten, daß ich das bedürfniß nach deutlicher darstellung des ganzen Zusammenhanges an die Sinne nur noch gesteigert hatte. Jetzt sehe ich, ich muß, um vollkommen von der bühne herab verstanden zu werden, den ganzen Mythos plastisch ausführen.« (SB IV, 174)
Dass er damit den Rahmen des zeitgenössischen Repertoiretheaters durchbricht, ist ihm bewusst. »Mit dieser meiner neuen konzeption trete ich gänzlich aus allem bezug zu unsrem heutigen theater und publikum heraus: ich breche bestimmt und für immer mit der formellen gegenwart.« (SB IV, 175) Noch einmal o ff enbart Wagner sich als entschiedener Revolutionär. Erst die Revolution kann – inhaltlich wie institutionell – die Bedingungen für eine Aufführung seiner Tetralogie herbeiführen. Und so entfaltet er denn hier bereits die Idee eines (postrevolutionären) Festspiels: »An eine Aufführung kann ich erst nach der Revolution denken: erst die Revolution kann mir die künstler und die Zuhörer zuführen. Die nächste Revolution muß nothwendig unsrer ganzen theaterwirthschaft das Ende bringen: sie müssen und werden alle zusammenbrechen, dies ist unausbleiblich. Aus den trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche: ich werde, was ich bedarf, dann fi nden. Am Rheine schlage ich dann ein theater auf, und lade zu einem großen dramatischen feste ein: nach einem jahre vorbereitung führe ich dann im laufe von vier tagen mein ganzes werk auf: mit ihm gebe ich den menschen der Revolution dann die bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten sinne, zu erkennen.« (SB IV, 176)
Im selben Monat November, in dem Wagner diesen Brief schreibt, skizziert er bereits die beiden ersten Teile der Tetralogie. Die beiden großen Prosaentwürfe zum Rheingold (ursprünglich Der Raub des Rheingoldes ) und zur Walküre folgen im März und Mai 1852. Im Juni schreibt Wagner zunächst die Dichtung der Walküre nieder, zwischen September und November desselben Jahres dann das erste, von der Entstehungsgeschichte her jedoch letzte Stück der Ring -Dichtung: Das Rheingold. Die tetralogische Konzeption bedingt zugleich eine Überarbeitung der beiden Siegfried-Teile ( Siegfried’s Tod war schon 1849 in einigen Teilen neu gefasst
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