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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Rheintöchter-Namen: Woglinde, Wellgunde, Floßhilde. Was aber singen diese drei: lautmalerisch lallende Wortgebilde, die ebenfalls die etymologischen Wurzeln von Welle, Woge und Wiege klangsymbolisch umspielen. Wie der Gesang der Rheintöchter aus dem reinen Instrumentalklang geboren wird, so ist ihre Sprache noch halb Musik, ein tönendes Ungefähr, in dem noch nicht das Wort als begri ff liches, sondern als urtümliches Klang-Gebilde dominiert. Nicht nur die Welt, die sichtbaren Dinge, auch die Sprache zeigt sich uns in ihrem Ursprung. »Weia! Waga! / Woge, du Welle, / walle zur Wiege! / Wagalaweia! / Wallala weiala weia!« (GS V, 200) Mit diesen Stabreimversen soll jene mythische Ursprache angestimmt werden, die das gigantische dichterische Gebäude der Tetralogie trägt.
    Die etymologische Verwandtschaft von Wiege und Woge, mit der die ersten Verse des Rheingold spielen, ist Wagner besonders wichtig gewesen, stellt jener Wellengesang für ihn doch »gleichsam das Wiegenlied der Welt« dar, wie Cosima in ihrem Tagebuch vom 17. Juli 1869 notiert (CT I, 129). An wessen »Wiege« aber wird jenes Lied gesungen? Es ist »des Goldes Schlaf«, den die Rheintöchter hüten; spielend wachen sie an »des Schlummernden Bett« (GS V, 201). In den Tiefen des Rheins herrscht noch das Goldene Zeitalter, das hier seinem Namen gemäß wirklich durch das Gold symbolisiert wird, das noch nicht seiner mythischen Unschuld beraubt ist. Indessen birgt es eine dämonische Potenz in sich. Wer die kosmogonische Urmacht der Liebe – also die Macht, durch welche die Welt entstanden ist und durch die sie erhalten wird – ver fl ucht, der vermag das Gold zu einem Ring zu schmieden, welcher »maaßlose Macht« (GS V, 211), ja den Weltbesitz verbürgt. Es ist Alberich, der diesen Liebes fl uch ausspricht. Mit ihm tritt das radikal Böse in die Welt, das ihre mythische Integrität zerstört. Dieses Böse vergiftet die Natur, verwandelt die segenspendende mythische Persönlichkeit des Goldes in eine verdinglichte Macht, die alle menschlich-sittlichen Bande zerreißt. Der Besitz des Rings führt zur Herrschaft der Objekte über den Menschen, der Besitzende wird vom Besitz in doppeltem Sinn ›besessen‹: »des Ringes Herr / als des Ringes Knecht«, wie Alberich in seiner großen Fluchrede prophezeit (GS V, 255).
    In seinem Aufsatz Erkenne dich selbst (1881) hat Wagner das Zentralsymbol des Ring als »Börsenportefeuille« und »schauerliches Bild« der Weltherrschaft des Geldes (GS X, 268) modernisiert. Das zeigt, dass er einerseits einem Programm mythischer Archaisierung des Nibelungensto ff s bis in die Sprache hinein folgt, anderseits – in paradoxaler Spannung zu dieser Tendenz – einer Idee seiner Modernisierung. Zwischen den Polen der Archaisierung und Modernisierung bewegt sich die ganze Ring - Dichtung. »Der Ring mit all seinen Göttern und Riesen und Zwergen, mit den Wasserjungfrauen und Walküren, der Tarnkappe, dem magischen Ring, dem verzauberten Schwert und dem wunderbaren Schatz ist ein Drama der Gegenwart und nicht eines aus ferner und sagenhafter Vorzeit.« So bemerkt 1898 George Bernard Shaw provokant auf der ersten Seite seines Essays The Perfect Wagnerite . Ja, er erlaubt sich, Walhall, Nibelheim und Riesenheim nach London zu verlegen. Er hätte sich da fast schon auf Wagner selber berufen können. Dieser hat London dreimal besucht: das erste Mal im Sommer 1839 auf seiner Flucht von Riga nach Paris, das zweite Mal, von Zürich aus, als bereits etablierter Komponist im Frühling und Sommer 1855 zu acht Konzerten auf Einladung der Old Philharmonic Society – mit dem Empfang des von den deutschen Fürsten steckbrieflich Verfolgten durch Queen Victoria –, das letzte Mal im Mai und Juni 1877 zu wiederum acht Konzerten – und erneuter Audienz bei Queen Victoria in Schloss Windsor. Bei dieser letzten Londonreise besichtigte er einer Tagebuchnotiz Cosima Wagners vom 25. Mai 1877 zufolge auch die Londoner Hafenanlagen, und Cosima notiert folgende Bemerkung von ihm: »Der Traum Alberichs ist hier erfüllt, Nibelheim, Weltherrschaft, Tätigkeit, Arbeit, überall der Druck des Dampfes und Nebel.« (CT I, 1053) Der Mythos wird zum Spiegel der Moderne, wie diese sich im Mythos spiegelt.
    Das zeigt sich besonders deutlich in der Figur und Handlungsweise Wotans. Dieser hat, wie wir in der Nornenszene zu Beginn der Götterdämmerung erfahren, durch eine Naturverletzung seine Herrschaftsordnung errichtet: indem er den Speer aus der

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