Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Weltesche schneidet, das mythische Symbol der neuen Ordnung:
Treu berath’ner
Verträge Runen
schnitt Wotan
in des Speeres Schaft:
den hielt er als Haft der Welt. (GS VI, 179)
So singt die zweite Norn. Wotan schließt also – in den Werten von Treu und Glauben gründende – »Verträge«, die gewissermaßen in den Runen des Speers beurkundet sind. Das zeigt, dass der Speer Wotans anders als der Ring Alberichs kein Symbol sittenloser Macht- und Ra ff gier ist, wenngleich er – das ist seine Ambivalenz – die Naturordnung stört und den Makel der Eigen-Macht an sich trägt, der später durch den geplanten Vertragsbruch gegenüber den Riesen seine rechtlich-sittliche Bedeutung in Misskredit bringt. Gleichwohl wäre es verfehlt, in Wotan den eigentlichen Urheber des Bösen, in der Scha ff ung des Speers die Urschuld zu sehen, in deren Spuren sich Alberich später bewegt, wie bisweilen behauptet worden ist.
Abb. 17 : Alberich ver fl ucht den Ring, illustriert von Franz Stassen, 1914
Die Verträge spielen im Ring als modernisierendes Element eine zentrale Rolle. Sie binden Wotan bis zur Handlungsunfähigkeit. »Verträgen halte Treu’!«, mahnt der Riese Fasolt Wotan im Rheingold ; denn:
Was du bist,
bist du nur durch Verträge:
bedungen ist,
wohl bedacht deine Macht. (GS V, 219)
Die Macht der Götter ist also im Ring keine All-Macht mehr, sondern an – politische – Bedingungen geknüpft, sie ist nicht frei , sondern › bedacht ‹, wie Wagner im Spiel mit der Doppeldeutigkeit dieses Partizips, das sowohl von ›bedenken‹ als auch von ›bedachen‹ abgeleitet sein kann, den Riesen verkünden lässt: Wotans Macht steht nicht mehr wie die der antiken Götter unter freiem Himmel, sondern unter dem Dach der Verträge.
Der Vertragsbegri ff hat eine lange Geschichte in der politischen Theorie. Es genüge hier der Hinweis auf den wirkungsmächtigsten Vertragstheoretiker des 18. Jahrhunderts: auf Jean-Jacques Rousseau, von dessen politischem Denken Wagner zumindest mittelbar inspiriert ist. Nach Rousseau leben die Menschen ursprünglich voneinander unabhängig oder locker vergesellschaftet in einem vorstaatlichen Naturzustand, ehe sie sich entschließen oder überreden lassen, auf dem Wege des »Contrat social«, des Gesellschaftsvertrags, einen Staat zu gründen. Auch Wotan hat den unabhängigen Naturzustand gegen den gesellschaftlichen Vertragszustand vertauscht. Die Natur ist jetzt nicht mehr alles, sondern sie hat nun einen Gegenspieler, der ihr das alleinige Recht im wörtlichen Sinne ›beschneidet‹. Indem Wotan seinen Speer aus der Weltesche schneidet, verletzt er nicht nur seine eigene natürliche Integrität (»seiner Augen eines zahlt’ er als ewigen Zoll«; VI, 178), sondern er reißt auch der Weltesche und der sie umgebenden Natur eine Wunde, die sie verdorren lässt:
In langer Zeiten Lauf
zehrte die Wunde den Wald;
falb fi elen die Blätter,
dürr darbte der Baum:
traurig versiegte
des Quelles Trank (GS VI, 178 f.).
Die Aufhebung der Integrität der Natur ist die Bedingung jedes
Gesellschaftsvertrags, jeder Staatsgründung, doch Wotans ›Contrat social‹ enthält noch ein anderes Übel. Obwohl er durchaus eine sittlich-rechtliche Ordnung scha ff en will, »Treu berath’ner / Verträge Runen« in den Schaft des Speeres schneidet, ist seine Staatsgründung wie gesagt doch nicht frei vom Egoismus der Macht. Er selbst gesteht Brünnhilde im zweiten Akt der Walküre :
Als junger Liebe
Lust mir verblich,
verlangte nach Macht mein Muth:
von jäher Wünsche
Wüthen gejagt,
gewann ich mir die Welt.
Unwissend trugvoll
übt’ ich Untreue,
band durch Verträge,
was Unheil barg
listig verlockte mich Loge,
der schweifend nun verschwand. – (GS VI, 37).
Das Machtstreben fl ößt den »Verträgen« von Anfang an das schleichende Gift der »Untreue« ein. Wie Faust braucht Wotan seinen Mephisto: den kunstreich-verschlagenen Elementargott Loge. Der von diesem ›verlockte‹ Wotan gesteht sich nicht ein, dass der mit den Riesen geschlossene Vertrag an eine Bedingung geknüpft ist, die er nicht erfüllen kann: für die als Machtzentrum und repräsentatives Monument zu bauende Götterburg wird Freia als Arbeitslohn ausgehandelt. Die Göttin der ewigen Jugend und Schönheit wird zur ›verkauften Braut‹ – ein Motiv, das schon im Fliegenden Holländer vorkommt (Senta wird ja von Daland förmlich an den Holländer verschachert) und in den Meistersingern in sublimierter Form wiederkehrt; auch im Ring
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