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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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haben, eine ebenso urtiefe wie das Drama, und diese ließ sich nicht [wie etwa in der rekapitulierenden Exposition des gesprochenen Schauspiels] mitteilen, das Drama konnte […] musikalisch nicht von seinen Erinnerungen leben, und nicht konnte es zu den höchsten, ergreifendsten Triumphen der neuen thematischen Gewebs- und Beziehungstechnik [eben der Leitmotive] kommen, wenn diese Urmusik nicht irgendwann einmal wirklich und in gegenwärtiger Verbundenheit mit dem dramatischen Augenblick erklungen war.« Anders als die dramatische Dichtung bedarf das musikalische Drama der unmittelbaren szenischen Präsenz seiner wesentlichen Handlungselemente, und wenn diese rekapituliert werden (das geschieht in den großen Erzählungen des Ring ja oft genug), müssen sie doch als irgendwann im Laufe der Handlung gegenwärtig gewesene erinnert werden.
    Deshalb war es Wagner, so Thomas Mann, nicht nur auferlegt, zum »Urquell und Anbeginn« zurückzustreben, die Siegfriedsage nicht nur von allen »historischen Schlacken« und »späteren Umkleidungen« zu befreien und durch das schon hö fi sch kostümierte Nibelungenlied zum »Edda-Grund des Mythus« zurückzudringen, sondern Wagner habe es im Laufe der Konzeption seiner eigenen Tetralogie auch nicht über sich bringen können, »an einem schon irgendwie historisch belasteten Anfang haltzumachen und einzusetzen, irgendwie in medias res einzutreten«. So drängte es ihn, »bis zum Ursprung und Erzbeginn aller Dinge, der Urzelle, dem ersten Contra-Es des Vorspiels vom Vorspiel zurückzugehen« und von ihm aus »eine musikalische Kosmogonie, ja einen mythischen Kosmos selbst zu erbauen […]: das tönende Schaugedicht von der Welt Anfang und Ende.«
    Das Rheingold -Vorspiel beginnt mit einem wahrhaft abgrundtiefen geräuschähnlichen Ton, dem berühmten Contra-Es. Von diesem absoluten musikalischen Tief-Punkt her werden systematisch alle musikalischen Parameter der Ring -Partitur entwickelt. Zu dem amorphen Urton der Welt gesellt sich die Quinte, dann setzen kanonartig acht Hörner ein: der Dreiklang wird geboren, und nun wird 136 Takte lang ein Klangraum aufgebaut, der aus nichts anderem besteht als eben aus dem Es-Dur-Dreiklang. In Mein Leben hat Wagner später behauptet – eine seiner berühmten Inspirationslegenden –, auf seiner Italienreise im September 1853 sei ihm in einem »somnambulen Zustand«, in den er nach kaum überstandener schwerer Seekrankheit verfallen war, auf dem Sofa des Hotel Nazionale liegend, die Idee des Rheingold- Vorspiels gekommen. Er glaubte, in einem strömenden Wasser zu versinken. »Das Rauschen desselben stellte sich mir bald im musikalischen Klange des Es-dur- Akkordes dar, welcher unaufhaltsam in fi gurierter Brechung dahinwogte; diese Brechungen zeigten sich als melodische Figurationen von zunehmender Bewegung, nie aber veränderte sich der reine Dreiklang von Es-dur , welcher durch seine Andauer dem Elemente, darin ich versank, eine unendliche Bedeutung geben zu wollen schien.« (ML 511 f.) Eine genaue Beschreibung der endgültigen Konzeption des Vorspiels – aber durchaus nicht seiner ersten; das zwei Monate später skizzierte ursprüngliche Instrumentalvorspiel hat jedenfalls eine noch wesentlich andere Gestalt als die endgültige Fassung.
    Es-Dur – von jeher die Tonart des Mysteriosen, wie sie etwa in den Ombra-Szenen der Opera seria verwendet wurde – wird hier zum Ausdruck des mythischen Ursprungs der Dinge, des Anfangs der Welt. Der stationäre Dreiklang der Hörnerkanons wird durch dessen Triolen fi guration in den Celli nun dynamisch belebt, in eine strömende Bewegung versetzt. Das strömende Wasser, der Ursprung des Lebens wird Klang. Die Melodiespitzen jener Streicher fi guration tragen das erste Leitmotiv des Ring , eine diatonisch aufsteigende, sinnfällig das Werden der Natur symbolisierende Linie, die nun den ganzen Klangraum beherrscht und zu immer helleren Registern des Instrumentariums emporstrebt, vom Dunkel ins Licht, vom tönenden Sein zum sichtbar Seienden, vom Hören zum Schauen, prosaisch gesagt: vom Orchestergraben zur Bühne.
    Die melodische Aufwärtsbewegung des Vorspiels strebt auf einen Gipfelpunkt zu, in dem das Hören suggestiv zum Sehen drängt. Der Vorhang ö ff net sich, und wir hören und sehen drei Elementarwesen, Wassernymphen – die Rheintöchter, deren erste eine sinnfällig wiegende Melodie intoniert: die in eine Tonfolge verwandelte Wellenbewegung des Rheins. Die Welle bildet ja schon die Wurzel der

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