Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
taucht es mehrfach auf: nicht nur im Falle Freias, sondern auch in der Walküre (wo Sieglinde an Hunding wie ein Wertobjekt vermacht wird) und vor allem in der Götterdämmerung , wo Brünnhilde buchstäblich zum Tauschobjekt degradiert wird.
Um ein Äquivalent für Freia zu haben – da ohne den Genuss ihrer Äpfel die Götter vergehen müssten –, lässt Wotan sich schließlich darauf ein, unter Preisgabe seiner Götterwürde Alberich den verhängnisvollen Ring zu rauben. Damit aber tritt er in den Kreislauf des radikal Bösen ein. Die Warnung Erdas lässt Wotan zwar auf den Ring und auf den durch ihn verheißenen Weltbesitz verzichten, doch kann er das Böse damit nicht aus der Welt scha ff en, da er mit dem Ring die Riesen auszahlen muss und durch sein eigenes Vertragswerk handlungsgelähmt ist.
Das ist die ausweglose Situation, die er Brünnhilde im zweiten Akt der Walküre schildert: »In eig’ner Fessel / fi ng ich mich: – / ich unfreiester Aller!« (GS VI, 36) Herrschaft schlägt dialektisch in Knechtschaft, Macht in Ohnmacht um: »der durch Verträge ich Herr, / den Verträgen bin ich nun Knecht.« (GS VI, 40) Die Welt aus dem circulus vitiosus , in den Wotan sich verstrickt hat, herauszuführen und von dem im Ring verdichteten Bösen zu befreien, dazu wäre nur ein freier, nicht vertragsgebundener Held imstande, der also aus eigenem Antrieb handelte, unabhängig vom Willen des Gottes, dem durch Verträge die Hände gebunden sind.
Wotan erliegt der paradoxen Illusion, dass der von ihm gezeugte Wälsung Siegmund zu dieser freien Tat berufen ist, die zugleich Wotans eigene Herrschaftsordnung aufheben würde. In Siegmund und Sieglinde sucht er der Welt einen neuen Anfang im Geist der ver fl uchten und verratenen Liebe zu geben. Doch Fricka führt ihm gnadenlos seinen Selbstbetrug vor Augen. Siegmund ist eben nicht der Freie, der sich selbst scha ff t, sondern das Geschöpf Wotans. »Einen Freien kann ich nicht wollen« (GS VI, 43), erkennt er, und deshalb gibt er in verzweifelter Resignation das Wälsungengeschlecht auf. Die totale Resignation (»Auf geb’ ich mein Werk«; GS VI, 42) führt freilich ein neues Paradox herbei: gerade durch die Aufgabe des Wälsungenstamms kann aus diesem Stamm der nun wirklich freie, nicht mehr von Wotan gelenkte Held hervorgehen: Siegfried.
Ebenso paradox wie die Wälsungen erfüllt die als Vollstreckerin von Wotans Weltrettungsplan gezeugte Walküre Brünnhilde erst dadurch, dass sie gegen das ausdrückliche Gebot des Göttervaters verstößt und den von ihm aufgegebenen Siegmund im Kampf gegen Hunding unterstützt, den eigentlichen Wunsch Wotans. Das ist die geniale Paradoxie der Ring -Handlung: die Wälsungen wie die Walküren sind von Wotan als Werkzeuge seines Weltplans gedacht, als solche aber müssen sie dessen Grundgedanken: die Befreiung der Welt vom Fluch des Rings verfehlen, da sie ihn nur als Freie, von Wotans Weisung Unabhängige erfüllen könnten. Das bedeutet: erst in dem Moment, da er sich von ihnen scheidet, treten sie aus dem circulus vitiosus der Strategie Wotans heraus und können jenen Ho ff nungsgedanken des Gottes verwirklichen, dem sie ihre Existenz verdanken.
Das ist der Angelpunkt der Ring -Handlung. Er bedeutet aber, dass Wotans Rolle als Handelnder im Weltgeschehen am Ende der Walküre ausgespielt ist. Im Siegfried verwandelt er sich deshalb in den bloß beobachtenden »Wanderer«, der mit Recht zu Alberich sagen kann: »Zu schauen kam ich / nicht zu scha ff en« (GS VI, 124). Wotans Handlungsohnmacht drückt sich sinnfällig im Zerbrechen seines Speers aus, den er, noch einmal gegen diese Ohnmacht aufbegehrend, Siegfried verbietend entgegenhält. Die letzte dramaturgische Konsequenz ist es, dass Wotan in der Götterdämmerung gänzlich von der sichtbaren Bühne abtritt.
Brünnhilde hat sich dem Gott der Verträge widersetzt, um seinem durch Fricka – die Repräsentantin der bloßen sittlichen ›Gewohnheit‹ («Stets Gewohntes / nur magst du versteh’n«, hält er ihr vor; GS VI, 31) – sich selber »entfremdeten« Ich zu folgen (GS VI, 76). Brünnhilde gleicht der sophokleischen Antigone, die nach Wagners Deutung der Tragödie in Oper und Drama gegenüber Kreon, dem »personi fi zirten Staat«, die »reine Menschenliebe« verkörpert (GS IV, 63). Aus letzterer erwächst die utopische Ho ff nung auf den »Untergang des Staats« (GS IV, 72 u. ö.), in welchem »die freie Individualität ihr verneinendes Schicksal erkennt« (GS IV, 66).
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