Richter 07
gemischt hatte. Es schien vom vergitterten Fenster des Schlafzimmers herzukommen. Sie schluckte und fragte beklommen:
»Wer ist dort, im Roten Zimmer?«
»Niemand ist dort.«
Rasch ließ sie ihre Augen von links nach rechts schweifen, dann drehte sie sich um und blickte hinaus in den Park zu dem zweistöckigen Haus. Die Musik hatte aufgehört, stürmischer Beifall setzte nun ein, gefolgt von Heiterkeitsausbrüchen. Um der peinlichen Pause ein Ende zu machen, bemerkte Richter Di beiläufig:
»Die Leute dort drüben scheinen sich vortrefflich zu amüsieren.«
»Es ist das Parkrestaurant. Unten speist man ausgezeichnet, die oberen Räume sind reserviert für … intimere Genüsse.«
»Versteht sich. Alsdann, ich bin erfreut über das seltene Glück, die schönste Frau auf der Paradiesinsel gesehen zu haben. Jetzt aber bedaure ich aufrichtig, nicht länger in Eurer charmanten Gesellschaft verweilen zu können, da ich heute abend verabredet bin und meine Reise morgen früh fortsetzen muß.«
Sie machte keine Anstalten zu gehen. Sie stellte ihr Schminkkästchen auf den Boden, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich nach hinten, wobei sie ihre festen Brüste mit den spitzen Rosenknospen sehen ließ und ihre schlanke Taille mit den schön gerundeten Oberschenkeln enthüllte. Er konnte der Feststellung nicht ausweichen, daß ihr ganzer Körper sorgfältig enthaart war, wie es bei Kurtisanen üblich ist. Als er den Blick rasch von ihr abwendete, sagte sie kühl und ruhig:
»Ihr hättet schwerlich mehr von mir sehen können als jetzt, nicht wahr?« Einen Augenblick genoß sie sein verlegenes Schweigen; dann senkte sie die Arme und fuhr selbstgefällig fort: »Ich habe keine sonderliche Eile. Heute abend gibt man mir zu Ehren ein festliches Mahl, zu dem mich ein treuergebener Liebhaber abholen wird. Er kann warten. Erzählt mir ein wenig über Euch selbst. Ich nehme an, daß Ihr ein Beamter aus der Hauptstadt seid oder so etwas Ähnliches, ja?«
»Nicht doch, nur ein kleiner Provinzbeamter. Ich bin nicht im geringsten würdig, unter Eure hochmögenden Bewunderer gerechnet zu werden!« Aufstehend setzte er hinzu: »Jetzt muß ich mich aber zum Ausgehen bereitmachen. Es wäre vermessen von mir, wollte ich Euch länger aufhalten. Ohne Zweifel wird es Euch drängen, nach Hause zu kommen und Eure Toilette zu machen.« Um ihre vollen roten Lippen spielte ein verächtliches Lächeln. »Verstellt Euch doch nicht in der Rolle des prüden Mannes! Ich habe Euren Blick genau verfolgt, zwecklos, mir vorzutäuschen, daß Ihr nicht besitzen wollt, was Ihr gesehen habt!«
»Einer so unbedeutenden Person wie mir«, antwortete der Richter steif, »kommt ein solcher Wunsch nicht zu. Er wäre verwegen.«
Sie runzelte die Stirn. Grausame Falten bildeten sich um ihren Mund.
»Ihr habt recht, es wäre in der Tat verwegen!« entgegnete sie scharf. »Zuerst schien mir Eure überlegene Art zu gefallen, aber jetzt weiß ich es besser. Ihr interessiert mich nicht!«
»Ihr betrübt mich.«
Eine Zorneswelle rötete ihre Wangen. Sie hob ihr Schminkkästchen auf, entfernte sich vom Geländer und sagte schnippisch:
»Ihr, ein untergeordneter Beamter, wagt mich zu verspotten! Laßt Euch sagen, daß vor drei Tagen ein berühmter junger Gelehrter aus der Hauptstadt sich um meinetwillen das Leben nahm!«
Richter Dis erste Begegnung mit der Blumenkönigin
»Euch scheint das nicht zu bekümmern!«
»Wollte ich alle Narren betrauern, die sich wegen mir umbringen«, entfuhr es ihr giftig, »ich käme mein Lebtag nicht aus der Trauer heraus!«
»Ihr würdet besser nicht von Tod und Trauer sprechen«, warnte sie Richter Di. »Das Totenfest ist noch nicht vorüber. Die Tore des Jenseits sind noch geöffnet, und die Seelen der Abgeschiedenen weilen unter uns.«
Die vom Haus im Park herüberwehende Musik verstummte zeitweilig. Plötzlich hörten sie von neuem jenes Kichern, diesmal war es sehr gedämpft. Es schien aus dem Gebüsch unten vor der Veranda zu kommen. Das Gesicht der Blumenkönigin verzerrte sich. Unwillig stieß sie die Worte aus:
»Diesen schrecklichen Ort habe ich satt! Dem Himmel sei Dank, daß ich ihn bald verlassen werde, für immer. Ein hoher Beamter, ein reicher Poet, wird mich loskaufen. Dann werde ich die Frau eines Amtmanns sein. Was habt Ihr dazu zu sagen?«
»Nur beglückwünschen kann ich Euch. Und ihn ebenfalls.« Sie verbeugte sich leicht und schien ein wenig besänftigt. Als sie sich zum Gehen anschickte,
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