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Richter 07

Richter 07

Titel: Richter 07 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gulik
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er das Opfer einer Einbildung gewesen.
    Indem er seinen Stuhl näher ans Geländer rückte, überblickte er den Park mit den vielen bunten Lichtern zwischen dem Blattwerk der Bäume und freute sich über das stimmungsvolle Bild. Doch war es ihm unmöglich, seine vorherige unbeschwerte Gemütsverfassung wiederzugewinnen. Die windstille, heiße Luft wurde immer drückender, der menschenleere Park schien eine drohende, feindliche Atmosphäre auszuatmen.
    Ein raschelndes Geräusch zwischen den Glyzinienblättern veranlaßte ihn, den Kopf mit einem Ruck umzuwenden. Er sah die verschwommenen Umrisse eines Mädchens, das am Ende der Veranda stand und von den tiefhängenden Glyzinienblüten halb verborgen war. Erleichtert wandte er den Blick wieder dem Park zu und sprach:
    »Stellt das Tablett mit den Speisen bitte hierher auf den kleinen Tisch, ja?«
    Als Antwort kam ein sanftes Lachen. Erstaunt sah er sich wieder um. Es war nicht die Dienerin, die er erwartet hatte, sondern ein hochgewachsenes Mädchen in einem langen, durchsichtigen weißen Gazegewand. Ihr glänzendes Haar fiel aufgelöst auf ihre Schultern. Irritiert sagte er:
    »Verzeiht mir, ich dachte, es wäre die Dienerin.«
    »Kein schmeichelhafter Irrtum, will ich meinen!« bemerkte sie mit ihrer angenehmen, gepflegten Stimme. Sie machte einen Schritt und trat unter den Glyzinien hervor. Jetzt sah er auch, daß sich hinter ihr ein Türchen im Geländer befand, wahrscheinlich das Ende einer kleinen Treppe, die zu einem Pfad längs der Herbergsrückseite führte. Als sie näher kam, erstaunte er über ihre außerordentliche Schönheit. Ihr ovales Gesicht mit der edel geformten Nase und den großen ausdrucksvollen Augen war ungemein anziehend; der sich an den nackten Körper schmiegende dünne Gazestoff ließ eine sanfte Weiße und berückende Formen in beunruhigender Klarheit durchschimmern. Ihr eckiges Schminkkästchen schwingend, trat sie weiter vor und lehnte sich mit dem Rücken ans Geländer. Von dort aus betrachtete sie den Richter von oben bis unten mit einem herausfordernden Blick.
    »Auch Ihr habt einen Irrtum begangen«, antwortete Richter Di ärgerlich. »Ihr befindet Euch in privaten Räumen, versteht Ihr?«
    »Private Räume? Für mich gibt es derartiges nicht auf dieser Insel, mein lieber Herr!«
    »Wer seid Ihr?«
    »Ich bin die Blumenkönigin der Paradiesinsel.«
    »Ach so!« sagte der Richter gedehnt. Während er seinen Bart strich, bedachte er, wie peinlich seine Lage war. Er wußte, daß an berühmten Vergnügungsstätten jedes Jahr die schönste und vollkommenste Kurtisane von einem Komitee angesehener Leute zur Blumenkönigin gewählt wird. Die betreffende Frau nimmt in der eleganten Welt einen hohen Rang ein und ist tonangebend in allen Dingen der Mode und jenen Frivolitäten, die man unter dem Begriff »Blumen und Weiden« versteht. Daher mußte er versuchen, diese spärlich bekleidete Frau ohne Kränkung loszuwerden. Also stellte er die höfliche Frage:
    »Welchem glücklichen Umstand verdankt diese Person eine so unverhoffte Ehre?«
    »Einem bloßen Zufall. Ich war auf dem Rückweg vom großen Badehaus da drüben auf der anderen Seite des Parks. Ich betrat diese Veranda, weil ich dadurch den Umweg abkürze, den der Pfad längs der Herberge zu meinem eigenen Pavillon macht, da links hinter den Kiefernbäumen. Ich dachte, die Räume wären unbewohnt, versteht Ihr.«
    Der Richter maß sie mit einem scharfen Blick. »Ich hatte den Eindruck, von Euch schon eine ganze Weile beobachtet zu werden«, sagte er.
    »Ich bin es nicht gewohnt, Leute zu beobachten. Sie beobachten mich.« Ihre Worte klangen hochmütig, aber plötzlich ging ein Schatten des Ärgers über ihr Gesicht. Mit einem schnellen Blick auf die offene Tür des Wohnzimmers fragte sie stirnrunzelnd: »Wie kam Euch die lächerliche Idee, ich könnte Euch nachgespürt haben?«
    »Es war nur das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden.«
    Sie zog das hauchdünne Gewand etwas fester über ihrem geschmeidigen Körper zusammen, dessen Nacktheit der Gazestoff nicht verbergen konnte.
    »Wie sonderbar. Ich hatte dasselbe Gefühl, als ich in Eure Nähe kam.« Nach einer Pause raffte sie sich auf und sagte wie im Scherz: »Mir macht’s nichts aus. Ich bin’s gewohnt, verfolgt zu werden!«
    Sie lachte mit einem hellen, klingenden Unterton. Dann hielt sie plötzlich inne, tief erblassend. Der Richter wandte schnell den Kopf. Auch er hatte ein unheimliches Kichern gehört, das sich in ihr Lachen

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