Rico, Oskar und das Herzgebreche
Ducati neben sich her, den Helm über einem Arm. »He, Rico, Oskar!« Er lächelte freundlich mit seinen blitzenden EdelweiÃzähnen. »Haltet ihr mir mal die Tür auf, bitte?«
Wir lächelten nicht zurück. Dafür waren wir zu bestürzt. Wir hatten überlegt, dass zwar nur einer von uns bei Berts auf der Maschine mitfahren konnte, aber ein Plan B ist ja auch nur halb so gut wie ein Plan A, da muss man sich eben etwas einschränken. Ich war sogar bereit gewesen, Oskar das Mitfahren zu überlassen. Er ist nun mal schlauer als ich und es ging um Mama, da waren wir ja auf jeden Fitzel Schlauheit angewiesen.
Leider half uns die ganze Schlauheit jetzt nicht weiter. Ich starrte Berts an. Ich war mir total sicher gewesen, dass wir ihn gefahrlos in unseren Rettungsplan für Mama einweihenkonnten und dass er uns, ohne mit der Wimper zu zucken, helfen würde. Aber der einzige Plan, den Berts im Moment verfolgte, war ein Fluchtplan.
»Ich mach mich vom Acker«, sagte er und schob die Ducati an uns vorbei raus auf den Gehsteig. »Bei uns herrscht dicke Luft. Das muss ich mir nicht geben.«
»Was denn für dicke Luft?«, wollte ich wissen.
»Kannst ja mal âne Nase nehmen, wenn du willst.« Er nickte in Richtung Treppenaufgang. »Aber zieh den Kopf ein, bevor du bei uns klingelst. Falls Jule dir überhaupt aufmacht.«
»Jule ist zurück?« Mein Herz machte einen Hüpfer, schon den zweiten an diesem Tag. »Aber ⦠wollten sie und Massoud nicht erst morgen oder übermorgen wiederkommen?«
Für einen Moment war der soeben gescheiterte Plan B vergessen. Ich hatte Jule total vermisst, schlieÃlich bin ich in sie verknallt. Während ich im Krankenhaus lag, hätte ich gern ihren tröstenden Arm um mich gespürt und so weiter. Sie hätte mich garantiert total cool gefunden, als ich noch ein frischer Held mit massiger Gehirnerschütterung war.
»Die brüllen sich an«, sagte Oskar. Er hatte den Kopf vorgestreckt und lauschte in Richtung Treppenaufgang.
Es stimmte. Aus der Studentenwohnung im Ersten kam Geschrei. Es wurde immer lauter, und der gröÃte und lauteste Teil davon stammte von Jule.
»Nee, nee, nee«, murmelte Berts. Er hatte die Ducati auf dem Gehsteig abgestellt und sich zu uns in den Hausflur gesellt. »Schätze, wenn ich wiederkomme, ist hier ein Zimmer frei.«
»Was ist denn passiert?«
»Na ja, der Urlaub von Jule und Massoud war offenbar nicht so der Bringer. Sie trennen sich gerade.«
»Warum denn?«
»Frag Jule, wenn du dich traust. Du weiÃt ja, wie temperamentvoll sie ist.«
Feurig wie Paprika, hatte Mama mal gesagt, weshalb ich irgendwann später versucht hatte, mit Streichhölzern eine Paprika anzuzünden, um zu gucken, wie feurig sie brannte, aber Fehlanzeige. Es war aber auch nur eine grüne Paprika gewesen, vielleicht klappt es ja bloà mit den roten.
»Ich fahr jedenfalls raus aufs Land, zu ânem Kumpel«, sagte Berts. »Keine Böcke auf Stress. Die zwei geben sich schon seit einer Stunde die Kante. Ist echt nicht mein Ding.«
Wie um seine Worte zu unterstreichen, erklang von oben plötzlich ein krachend lautes KLIRR!
»Was war das?«, sagte ich erschrocken.
»Das dürfte eins von den Teegläsern sein, die Massoud Jule geschenkt hat«, sagte Berts. »Zu ihrem letzten Geburtstag, weiÃt du noch?«
»Die kleinen mit dem goldenen Rand?«
»Jep.«
Ich mochte die kleinen Gläser mit dem goldenen Rand. Es sah hübsch aus, wenn Massoud Tee darin servierte, der schimmerte dann auch golden oder bronzefarben, und wennman Zucker umrührte, konnte man zusehen, wie im Umrührgewirbel die kleinen Kristalle sich langsam in kreiselnde Schlieren auflösten. Jetzt lösten sich die Gläser auf. Es hätte mich nicht gewundert, wenn der Mommsen gleich auf der Matte stand, aber der lag wahrscheinlich befuselt auf seinem Sofa und pennte.
KLIRR!
»Falls du ein Glas als Andenken haben willst«, sagte Berts, »solltest du dich beeilen. Es waren insgesamt nur vier Stück.«
KLIRR!
»Tja, und jetzt ist es nur noch eins, und das dürfte wahrscheinlich auch nicht mehr lange â«
KLIRR!
»Mann, Mann, Mann!« Berts schüttelte missbilligend den Kopf, dann stülpte er sich entschlossen den Helm über und flitschte zur Haustür raus. »So, das reicht, ich bin dann erst mal weg.
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