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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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ersten Kaffee geht bei ihr gar nichts.
    Â»Hi, Irina«, sagte ich.
    Â»Tag, Fred«, sagte Irina, ohne vom Fotoapparat aufzusehen.
    Sie nennt mich deshalb Fred, weil Rico sich bei ihr so anhört wie Chrico . Sie mag es nicht, wenn man raushört, dass sie aus Russland stammt, obwohl man es eigentlich aus jedem Satz raushört, ihr Deutsch ist nämlich echt nicht so toll. An einem schlechten Bingokugeltag bringt mich der Fred zusätzlich durcheinander, weil ich dann denke, Irina quatscht mit jemand anderem, aber ich kann ihn ihr einfach nicht abgewöhnen.
    Â»Irina«, sagte ich, »das ist mein Freund Oskar.«
    Jetzt blickte sie doch auf mit ihren schönen honiggoldenen Augen. Ihre Stirn legte sich in haarfeine Falten. Oskar stand stocksteif neben mir. Ein paar silberne Armreife klingelten, als Irina ihm mit der freien Hand vor der riesigen Sonnenbrille herumwedelte.
    Â»Biste blind, Junge, oder was?«
    Â»Er ist inkognito«, erklärte ich.
    Â»Ah, wirste verfolgt! Ja, Oskarchen? Sag mir, wer ist hinter dir her? Tante Irina beschützt dir.« Die silbernen Armreife klingelten erneut, als sie ihm einfach die Brille abnahm. »Oh, lieben Schwan, wie schöner grüner Auge! Willste mich wohl machen schwach, was, Oskarchen?«
    Sie grinste, um zu zeigen, dass sie es nicht ernst gemeint hatte, aber es half nichts. Oskar starrte sie mit demselben faszinierten Entsetzen an, das er für jeden Erwachsenen aufbringt, der ihm zu nahe kommt oder ihn betatscht.
    Â»Hab ich natürlich schon gehört von dir.« Sie legte die Sonnenbrille auf dem Tisch ab, nahm das Durchsuchen derFotos wieder auf und plapperte dabei einfach weiter vor sich hin. »Du bist der kleiner Vogel, wo vor paar Wochen entführt war und jetzt ist gefallen aus das Netz, ja?«
    Â»Nest?«, sagte Oskar. Er lugte sehnsüchtig auf seine Sonnenbrille. Seine Finger trommelten unhörbar gegen die Hosennähte.
    Â»Sag ich doch, sag ich nicht?« Irina blickte von der Kamera kurz zu Mama auf, die noch zu müde war, um ihr zu helfen. »Ausgesessen von eigener Vater, klingt besser so, ja?«
    Â»Also –«
    Â»He, kannste sein froh, dass der ist weg! Mit so ein Typ war ich mal zusammengelebt. Vladimir. Schöner Wohnung, schöner Fernseher, alles. Schöner Mann, auch. Dann, einer Tage, haut er einfach ab. Nimmt er mit den TV, nimmt er mit alles Bargeld, lässt er aber zurück der verdammte Kanarie.«  
    Â»Eine Knarre«, versuchte Oskar zu verbessern.
    Â»Nee, nix Knarre! Der gelber Vogel, wo angeblich kann so schön singen. Ist verhungert, weil Vladi hat ihm gegeben kein Futter.«
    Â»Warum haben Sie ihn nicht gefüttert?«, sagte Oskar.
    Â»He, Oskarchen! Seh ich aus, wie dass ich bleibe bei einer wie Vladi? Wohin denkst du? War ich natürlich schon vor ihm abgehauen!« Irina zuckte bedauernd die Achseln. »Schade um der Piepenmatz, aber der hat, wie sagt man, sowieso nicht gemacht Musik. Hat der ganze Tag nur gekackt in der blöde Käfig – hey, da ist ja endlich der Fummel! Tanja, schau!«
    Mama kam mit einer dampfenden Tasse Kaffee und beugte sich über den Fotoapparat. Ich quetschte mich dazu. Oskar nutzte die Gelegenheit, um sofort nach der Sonnenbrille zu grapschen und sie aufzusetzen, dann betrachtete er ebenfalls den kleinen Monitor.
    Das Foto zeigte eine lachende junge Frau im Arm eines ebenfalls lachenden, aber nicht mehr ganz so jungen Mannes. Die Frau hatte ich noch nie gesehen – sie war blond und ganz hübsch und trug ein echt schickes Kleid aus glänzendem blauem Stoff, das sich an ihren schlanken Körper schmiegte wie daran hinunterlaufendes Wasser. Den Mann kannte ich von früheren Fotos.
    Â»He, das ist Boris!«, sagte ich.
    Â»Wer ist Boris?«, sagte Oskar.
    Â»Boss von uns«, erklärte Irina knapp.
    Der Boris ist weder sympathisch noch unsympathisch. Eigentlich gleicht er einem weißen Blatt Papier, das man nebenher mal kurz anguckt, und nachher fragt man sich, ob vielleicht nicht doch irgendwas draufstand, ganz klein oder ganz am Rand. Auf dem Foto war sein Gesicht so schmal, als hätte er es als Kind neugierig durch einen engen Türspalt gequetscht, weil die Tür nicht weiter aufging, und danach war es einfach so geblieben. Er hatte nicht mehr allzu viele Haare auf dem Kopf. Wahrscheinlich auch irgendwie hängen geblieben, damals im Türspalt. Sein Gesicht erinnerte mich an

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