Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
der Suche nach Parkplätzen, umkreisten die Kirche wie heulende Indianer eine Wagenburg, aus der niemand zurückballerte. Durch ein paar Büsche hindurch, quer über eine von den Wagenburgstraßen hinweg, hatten wir den hohen gelben Altbau, in dem die fürchterliche Ellie wohnte, prima im Blick. Wir warteten. Ich guckte ein bisschen rauf in den blauen Himmel und ein bisschen runter auf den rotsandigen Boden. Es wäre eine prima Gelegenheit gewesen, mit Oskar zu reden, über seinen Papa oder über meine Mama, aber man kann sich als Kind ja nicht ständig Sorgen um seine Eltern machen. Stattdessen redeten wir über Miss Marple und Falken.
    Â»Was für Falken?«, sagte ich, als Oskar damit anfing.
    Er hob den Arm und zeigte auf den Kirchturm. »Kleine Raubvögel. Irgendwo da oben drin wohnt ein Pärchen, mitten in der Stadt. Sie leben von den Ratten und Mäusen, die sich hier herumtreiben. Stand mal in der Zeitung.« Er nahm den Arm wieder runter und plapperte in seinem schlauen Oskar-Ton weiter wie ein Wasserfall. »Es gibt achtunddreißig verschiedene Arten, bei uns in Mitteleuropa aber nur sechs. Die nordische Göttin Freya konnte sich in einen Falken verwandeln. Nach ihr ist unser Freitag benannt.«
    Ende des Geplappers. Er guckte wieder zum Turm rauf und schien sich einfach nur zu freuen. Jedenfalls fragte er sich garantiert nicht, ob diese Freya nicht vielleicht eher eine westische oder südische Göttin gewesen war. Er war sich seiner Sache ganz sicher. Wie immer.
    Â»Woher weißt du eigentlich so viel?«, fragte ich ihn.
    Er zuckte die Achseln. »Ich kann mir Sachen gut merken. Ich kann aus vielen Einzelsachen neue Gesamtsachen machen. Das war schon immer so.« Er schob die Sonnenbrillehoch und sah mich aufmerksam an. »Und du? Wann hast du gemerkt, dass du tiefbegabt bist?«
    Â»Das war an einer Fußgängerampel. Mama und ich wohnten noch in Neukölln, und ich war ihr auf dem Weg zum Kindergarten abgehauen. Erst bei dieser roten Ampel blieb ich stehen.«
    Oskar runzelte die Stirn. »Und was war daran tiefbegabt? Rot heißt Stehen, Grün heißt Gehen – das weiß doch jedes Kind.«
    Â»Wusste ich auch. Und grün war die Ampel auch noch, als ich auf die Straße lief«, erklärte ich. »Erst als ich ungefähr in der Mitte war, wurde sie rot.«
    Â»Und dann bist du stehen geblieben?«
    Â»Die Straße war dreispurig«, sagte ich stolz. »Du hättest mal das Gehupe hören sollen! Ein Autofahrer stieg aus, dann noch ein paar. Sie mussten auf Mama warten, die angerannt kam, weil ich Angst gekriegt und mich heulend auf den Boden geworfen hatte und nicht mehr aufstehen wollte.«
    Â»Cool.« Oskar machte ein Schnalzgeräusch mit der Zunge.
    Â»Inzwischen weiß ich es natürlich besser«, sagte ich, nur zur Vorsicht.
    Â»Logisch«, gab Oskar zurück.
    Er sollte nicht denken, ich wäre immer noch so doof wie früher. Wenn ich heute über eine Straße gehe und die Ampel dabei plötzlich auf Rot umschaltet, renne ich einfach sofort wieder zurück.
    Â»Und manchmal fällt mir sogar was Schlaues ein.« Ich zeigte durch die Lücke zwischen den Büschen auf das gelbe Haus. »Zum Beispiel, dass die Wandbeck vielleicht gar nicht daheim ist und wir womöglich völlig umsonst hier rumsitzen.«
    Oskar starrte mich an. Über einem Sonnenbrillenglas sah ich eine Augenbraue hochrutschen. Er guckte zum gelben Altbau. »Der Punkt geht an dich«, flüsterte er. Dann verzog sein Mund sich zu einem Grinsen. »Aber sie war daheim.«
    Ich folgte seinem Blick, und mein Magen machte einen kleinen Hüpfer, als wollte er sagen: Jetzt geht’s los, Doretti – Ihr Spezialauftrag hat begonnen! Die fürchterliche Ellie trat eben aus dem Haus. Sie sah fast so aus wie auf der Bühne im Gemeindezentrum, hager und knochig, die nachtschwarzen Haare straff nach hinten gekämmt und aufgesteckt zu einem harten Knoten. In ihrem engen grauen Kostüm war sie voll die schicke ältere Dame, wie sie da umständlich aus der Haustür trat, in einer Hand eine kleine, golden schimmernde Handtasche, in der anderen eine Leine, an der sie …
    Ich konnte gar nichts dagegen tun – mir rutschte ein begeistertes Quietschen raus. »Oh, guck mal, Oskar, guck doch mal! Wie niedlich!«
    Die Wandbeck zog einen widerstrebenden Jack Russell hinter sich her! Und

Weitere Kostenlose Bücher