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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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brüllte inzwischen so laut, dass die Leute in der Nähe aufmerksam wurden. Porsche guckte zwischen uns hin und her, mit ängstlich angelegten Ohren. »Wer kommt denn mit gar nichts klar, wenn nicht immer irgendein anderer das Denken für ihn übernimmt? Du doch wohl!«
    Â»Das stimmt nicht!«
    Â»Und ob das stimmt! Deinen bescheuerten Kalbstein könntest du schon längst vergessen, wenn ich nicht wäre!« Plötzlich machte er einen Schritt nach vorn und pikte mir einen kleinen Finger vor die Brust. »Und weißt du auch, warum? Weil du zu tiefbegabt bist, um selber auf Ideen zu kommen! Weil du zu langsam denkst! Weil du keinen Eigenantrieb hast!«
    KAWUMM!
    In meinem Kopf war die Bingotrommel von null auf nichts angesprungen und dann förmlich explodiert, mit einem so schrecklichen Knall, dass es mir fast alle Luft raubte. Ich drehte mich einfach um und ging. Ich war mir nicht sicher, ob das ein eigener Antrieb war, aber so in etwa musste es passen. Und wenn es nicht passte, war es mir auch egal. Nach den ersten Schritten änderte ich den Kurs ein bisschen, weil ich mitten auf die Ostsee zumarschierte, aber dann ging ich immer nur weiter und weiter, Porsche an meiner Seite.
    Â»Rico!«, rief Oskar mir nach. »Rico!«
    Und weiter und weiter, Sand zwischen den Zehen und Wind im Haar und Tränen in den Augen.
    Â»Rico!«
    Vielleicht hätte ich kehrtgemacht, wenn er mir nachgelaufen wäre, statt bloß zu rufen. Aber das tat er nicht. Irgendwann hörte ich seine Stimme nicht mehr, sondern nur noch ein Rauschen. Wahrscheinlich kleine Wellen, die gegen den Strand spülten. Oder das Adrenalin in mir drin. Oder der Blutkreislauf in meinen Ohren.



Ich lief, ich lief … ich weiß nicht, wie lange. Wenn ich jetzt versuche, mich zu erinnern, an was ich dabei dachte, fällt mir nichts ein. In meinem Kopf war nur rote Wut und schwarzes Herzgebreche. Zusammen ergab das so eine Art Sonnenuntergang nach einem Vulkanausbruch, und wenn alles verglüht war, blieb nichts übrig als Asche und graues Gefühl. Ich glaube, das war meine erste Depression.
    Anfangs guckte ich kein einziges Mal hoch. Ich wollte nicht, dass jemand mich heulen sah. Selber sah ich nur Wasser und Muscheln und angeschwemmtes Grünzeugs und ab und zu ein paar nackte Beine und Füße, wenn ein Urlauber an mir vorbei in die Ostsee rannte, oder Porsche, der in bester Laune neben mir herwackelte, dann mal ein Stück voraus, wieder zurück, wieder voraus …
    Selbst mit Hund sollte man als Tiefbegabter nicht durch die Gegend laufen, ohne zu gucken. Man weiß sonst nicht genau, wann und wo man ankommt. Vor allem wann. Wo, war mir eigentlich klar, denn so eine Küste hörte ja nie wirklich auf, das wusste ich von meiner Weltkarte. Von der halben Insel aus ging es immer weiter, erst an Europa außen entlang und dann auf der Innenseite her am Mittelmeer, um ganz Afrika herum und Arabien und dergleichen, dann kamen Indien – da konnte ich irgendwo Mama und dem Bühl zuwinken – und China, und schließlich ging es, nach einer Kurve, bis Russland rauf. Nach der nächsten scharfen Kurve – da war die Karte schon ganz weiß, also lag da Schnee, oder es waren noch unerforschte Stellen – ging es oberhalb von Russland in Richtung Skandinavien weiter und dort, nach ein bisschen Geschlängel, wieder runter, an der Bottnischen Hupe und ein paar frisseligen kleinen Ländern und Polen vorbei, zurück nach Deutschland. Und schwupp, wäre ich wieder dort, wo ich losgelaufen war. Bloß dass es kein richtiges Schwupp war, denn dafür war der Weg viel zu weit. Ich würde länger brauchen als der Moses von Ägypten nach Israel. Womöglich hatte ich dem Moses sowieso unrecht getan, und er war nur so lahm gewesen, weil er auch Depressionen gehabt hatte. So eine ägyptische Knechtschaft ist ja schließlich kein Kindergeburtstag.
    Als das Grau in meinem Kopf endlich verblasste und ich das erste Mal aufschaute, war ich schon dort, wo die Küste mondsichelig wurde. Der Sandboden wurde hier fester und unebener und irgendwann so steinig, dass ich die Schuhe anziehen musste. Der Strand drückte sich schmal und schmaler gegen Felssteine und Wald und wurde eng und enger. Hier trieben sich kaum noch Urlauber herum. Und plötzlich hatte die Küste eine Unterbrechung. Wasser strömte durch einen breiten Kanal ins Inselinnere, und da gab

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