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Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Rico, Oskar und der Diebstahlstein

Titel: Rico, Oskar und der Diebstahlstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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es nichts, wo man es hätte überqueren können. Ich musste vom Strand abbiegen und diesem Kanal folgen. Der gar kein Kanal war, sondern sich als Einfahrt in einen kleinen Hafen herausstellte. Oder, noch genauer, wie dort an einer kurzen Mole ein Schild verkündete: in einen Nothafen. Hier konnten Schiffe parken, wenn auf der Ostsee mal ein Sturm tobte. Ein kleines Schiff lag sogar bei der Mole vor Anker, aber es war niemand drauf. Wahrscheinlich war es nur ein Beispielschiff.
    Der Hafen war um einiges größer als zu Hause der Urbanhafen, aber von der Mole aus konnte man ihn prima überblicken. Auf der gegenüberliegenden Seite, über das dunkle Wasser hinweg, sah ich meterhohes Schilf oder Ried oder was auch immer. Es wuchs tief und weit ins Land hinein. Erfreulicherweise führte, ein paar Meter hinter dem Beispielschiff, ein hölzerner Steg über das Wasser, genau in dieses Ried.
    Â»Cool!«, flüsterte ich.
    Da wollte ich hin, in diesen undurchdringlichen, Schutz versprechenden Dschungel! Dorthin würde ich mich zurückziehen wie ein verwundeter Tiger, der an einem verborgenen Ort seine Wunden leckte, jene schrecklichen und tiefen Wunden, die der Verrat durch den besten und einzigen Freund ihm geschlagen hatte. Doch nie würden diese Wunden wirklich verheilen, bestenfalls äußerlich, aber in meiner Seele – also in der vom Tiger – würden sie stets weiter bluten, eine ewig schmerzende Erinnerung aus enttäuschten Träumen und zerstörten Hoffnungen und den Splittern einer explodierten Bingotrommel!
    Â»Komm, Porsche.«
    Der Holzsteg übers Wasser hatte kein Geländer, da konnte einem ein wenig mulmig werden. Am anderen Ufer führte dann ein Weg aus dickeren Holzplanken, aber auf Stelzen, mitten ins Ried hinein, und man sah schon nach ein paar Schritten, wie sumpfig hier alles war. Ein Ausrutscher, und man landete im schwarzen Wasser, in dem zu beiden Seiten dieser unüberschaubare, grüne, wogende Teppich wurzelte. Es war unheimlich. Der kleinste Windhauch brachte die Pflanzen zum Rascheln. Es klang, als würden Millionen darin versteckter kleiner Viecher sich leise zuflüstern, dass sie im nächsten Moment alle gleichzeitig rausspringen und mich auffressen würden.
    Ohne Rico Doretti!
    Als der Plankenweg zu einer Seite hin abbog, noch tiefer ins Ried, ging ich zur anderen Seite. Da dünnte das Ried aus, und man konnte weiter hinten Bäume sehen, also war da auch festes Land. Erst kam ich mir vor wie ein Feigling, aber dann entdeckte ich, als ich mich durch ein paar Büsche quetschte, eine kleine Lichtung, auf der Tempos und Klopapier lagen. Es hatten sich hier also auch andere Wanderer schon vor Angst fast in die Buxen gemacht.
    Dann der Waldrand und ab dort immer schön geradeaus. Hoffte ich jedenfalls. Porsche folgte mir dicht auf den Fersen. Keine Ahnung, wie lange wir liefen oder in welche Richtung. Irgendwann war mein Zeitgefühl völlig im Eimer. Und immer nur Bäume, Bäume, Bäume. Sie standen nicht zu dicht, ihre Kronen waren nicht zu ausladend, der Wald nicht zu dunkel. Trotzdem kriegte ich irgendwann Schiss. Ich war ein Großstadtkind allein im Dschungel. Mir fielen die leckersten Wildschweine Deutschlands wieder ein und, als ein Schmetterling an mir vorbeiflatterte, auch noch Hannibal Lecter, der vielleicht gerade Appetit hatte auf den leckersten Tiefbegabten Deutschlands.
    Ich ging schneller.
    Noch schneller.
    Unter mir knackte und knisterte es, wenn ich auf lose tote Äste und welkes Laub vom letzten Jahr trat. Tief hängende Zweige streiften mein Gesicht. Schatten und Licht wechselten sich ab, mal blendete mich ein verirrter einzelner Sonnenstrahl, dann wieder wurde es so duster, als wäre dem Himmel sein eigenes Blau langweilig geworden und er hätte ein Gewitter zu sich eingeladen.
    An einem umgefallenen Baumstamm machte ich Pause. Porsche setzte sich vor mich hin und wuffte. Ich sah mich um. Rundum Wald mochte netter aussehen als zum Beispiel rundum Wüste oder rundum Wasser. Aber das änderte nichts daran, dass ich mitten rein in eine sehr große Verlassenheit gelaufen war. Das viele Grün war nicht gut für meine Nerven. Vielleicht war das mit dem Versteck für den einsamen Tiger doch keine so gute Idee gewesen.
    LABYRINTH
: Im ersten Labyrinth der Welt wohnte der Minotaurus, ein griechischer Stiermensch, der Jungfrauen und Jünglinge fraß. Also sozusagen eine

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