Rico, Oskar und der Diebstahlstein
nie«, sagte der Brauscher. »Wenn wir wieder im Ort sind, okay? Ich hab nichts zum Schreiben dabei.«
»Seid ihr mit dem Fahrrad gekommen?«, sagte der Kiesling.
»Ich bin allein hier.«
»Ohne deine Mutter und ihren schnuckeligen Polizisten?«
Mist! Aber gut ⦠Ich nickte nur. Das war noch keine Lüge, denn ich war ja wirklich ohne Mama und den Bühl hierhergekommen. »Zu Fuë, sagte ich. »Nur mit Porsche. Durch das Ried und so.«
»Echt? Ich dachte, du hast es nicht so mit Richtungen?«
»Aber diesmal hab ich selber eine gefunden«, sagte ich stolz. »Ohne in Polen zu landen. Wissen Sie, wie man von hier zurück nach Prerow kommt?«
»Na, am schnellsten doch wohl mit uns, oder?«, sagte Ulf Brauscher mit einem schnellen Blick zum Kiesling. »Ich meine, ehe wir dich hier verloren gehen lassen â¦Â«
Der Kiesling verdrehte unwillig die Augen. »He, wenn ich Kindermädchen hätte werden wollen â«
»Bleib locker, hm?« Die angenehme Nachrichtensprecherstimme von Ulf Brauscher wurde plötzlich ein winziges bisschen schärfer. »Denk einfach dran, wie sehr du in der Wertschätzung des schnuckeligen Polizisten steigen wirst, wenn du den Sohnemann seiner Freundin bei ihm ablieferst.«
Ah, so war das also! Ich hätte gewettet, dass die beiden gestern Krach wegen einem anderen Typen gehabt hatten. Der Kiesling probierte ja ständig neue aus. Womöglich hatte er einmal zu oft am Strand einem hinterhergegrinst mit seinen schönen weiÃen Zähnen. Jetzt verdrehte er bloà noch mal die Augen und nickte.
»HeiÃt das, ich kann bei Ihnen auf dem Rad mitfahren?«, sagte ich.
»Fahrrad?« Ulf Brauscher legte mir einen Arm um die Schulter und drückte mich am Kiesling vorbei, als wäre der Luft. »Wer braucht ein Fahrrad, Kumpel? Wir nehmen die Kutsche!«
Das musste man ja erst mal wissen, dass die in Prerow noch keine eigenen Autos hatten. Wahrscheinlich lag das an den schlechten StraÃen. Kein Asphalt. Nitschewo. Die Kutsche rumpelte durch tiefe Furchen in sandigen Wegen. Der Waldboden war ein Flickenteppich aus Lichtpfützen und Schattentupfen. Wir saÃen zwischen anderen Urlaubern in so einer Art Planwagen, an einer der Längsseiten von einem sehr schmalen Tisch. Es war schön, aber leider auch so eng, dass ich fast die ganze Fahrt über ein Fahrstuhllied summen musste, ins Ohr von Porsche, den ich auf den Schoà genommen hatte. Nach vorne raus konnte man die treuen Kutschpferde sehen. Sie waren schwarz und wirkten so stabil, als wären nur ihre Mamas Pferde, aber ihre Papas Elefanten, oder umgekehrt. Stampf, rumpel, stampf â¦
Andere Kutschen, Radfahrer und Wanderer kamen uns entgegen. Sehr gemütlich, auch wenn es eng war. Irgendwann schubste der Brauscher den Kiesling an und grinste. Der Kiesling verzog kurz den Mund, dann streckte er eine Hand aus. Der Brauscher nahm sie in seine und streichelte sie. Er war wohl einer von diesen Leuten, die nicht lange sauer sind und nicht alles so ernst nehmen.
Er war noch genau an der Stelle, wo ich ihn verlassen hatte. Weil er wusste, dass ich zum Schuppen nicht allein zurückfinden würde. Dass ich es überhaupt allein bis hierher geschafft hatte, verdankte ich zwar nur den Hinweisschildern im Ort. Trotzdem, unter anderen Umständen hätte ich mich gefühlt wie der heldenhafte Theseus.
Als ich ankam, sah ich ihn nur von hinten. Er hockte im Sand, die Beine gerade ausgestreckt, die Hände zu beiden Seiten aufgestützt, und schaute auf die See. Die Bommelmütze saà verrutscht auf seinem Kopf. Ich setzte mich neben ihn. Einmal wandte er mir kurz das Gesicht zu, und ich erschrak, weil tiefe dunkle Ringe unter seinen Augen waren. Porsche kriegte nichts davon mit, er tollte am Wasser herum und bellte die überall herumtrippelnden Möwen an.
Irgendwann schob ich mich ein Stück näher und legte ihm einen Arm um die Schultern. Das hatte ich noch nie getan, deshalb war ich überrascht, wie klein und zerbrechlich die sich anfühlten. So hielt ich ihn eine Weile, wir guckten gemeinsam auf das schöne graublaue Wasser, und als er zu weinen anfing, zog ich ihn einfach noch ein Stück näher an mich ran.
Ich sollte besser etwas schlafen, genau wie Oskar und Porsche, bevor wir nachher losziehen. In Oskars Armbanduhr ist so ein Weckdings drin, das hat er auf zwei Uhr heute Nacht gestellt.
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