Rico, Oskar und die Tieferschatten
misstrauisch.
»Um die mach dir erst mal keine Gedanken. Du hast doch sicher einen Computer, oder?«
»Mama hat einen. Wegen eBay.«
Bei eBay wird Mama nicht nur prima die Plastikhandtaschen vom Bingo los, sondern es gibt dort auch für billig Klamotten und so weiter.
»Hat der ein Textverarbeitungsprogramm mit Korrekturfunktion?«
Manchmal bastelt der Wehmeyer extralange Wörter und Sätze zusammen, um uns zu ärgern. Wenn ich einen schlechten Tag habe, rege ich mich darüber auf und dann geht bei mir die Bingotrommel los. Aber heute würde ich mich nicht ärgern lassen. Jetzt waren Ferien. Außerdem, das muss ich zugeben, schmeichelte mir sein Vorschlag ein bisschen. Ein Tagebuch ...
Es dauerte eine Weile, dann hatte ich die vielen Wörter sortiert und verstanden. Als Mama unseren Computer gekauft hat, ist so ein Textprogramm und anderer Schnickschnack umsonst dabei gewesen. Mama benutzt es ab und zu, um Briefe zu schreiben. Ich nickte.
»Was heißt Korrektur?« »Verbesserung.«
»Gut«, sagte der Wehmeyer. »So ein Programm verbessert deine Fehler nämlich automatisch.«
Ich war verblüfft. »Echt?«
»Echt. Aber tu mir einen Gefallen und guck dir wenigstens ein paar von den übelsten Fehlern an. Vielleicht lernst du was draus.«
Klar, ganz bestimmt! Wenn ich mir jeden Fehler einzeln angucke, dreht die Bingomaschine garantiert völlig durch.
»Abgemacht?«, sagte Wehmeyer.
»Abgemacht.«
Er grinste und hob eine Hand. »Gib mir fünf.«
Ich schob meinen Stuhl zurück, stand auf, sagte schnell Tschüs und ging. Wenn der jetzt auch noch mit Mathe anfing, bekäme ich echt schlechte Laune.
Ja, und das war's bis jetzt. Schon über zwanzig Seiten. Ich kann also eine Pause machen. Schreiben ist anstrengend.
Aber den zusätzlichen Belohnungsbonus hab ich längst in der Tasche. Der Wehmeyer wird ganz schön Augen machen.
Nur dieses vollautomatische Verbesserungsdings ist nicht >so toll. Weiter oben hatte ich ein Wort falsch geschrieben, da stand Schwene an Stelle von Schwäne. Das Programm hat mir zur Verbesserung folgenden Satz vorgeschlagen: Man kann aufs glänzende Wasser gucken oder die darauf paddelnden Schweine ärgern.
MONTAG
DER BÜHL
Gegen Mittag klingelte es an der Wohnungstür. Mama war gerade aufgestanden und an meinem Zimmer vorbeigeschlurft. Ich hörte sie in der Küche herumkruspeln, wo sie Kaffee aufsetzte.
»Machst du mal auf?«, rief sie.
Den Mann vor der Tür hatte ich noch nie zuvor gesehen. Er war groß und schlank, hatte kurze schwarze Haare, krachblaue Augen und am Kinn eine kleine Narbe. Er sah aus wie ein Schauspieler.
»Guten Tag!« Er lächelte und streckte mir die Hand entgegen. »Ich dachte, dass ich mich endlich mal vorstellen sollte.
Bin ja schon vor ein paar Tagen eingezogen, oben im Vierten. Simon Westbühl.«
Ich gab keine Antwort. Ich starrte abwechselnd auf die Narbe an seinem Kinn und auf seine ausgestreckte Hand und wünschte mir, er hieße nur Bühl. Vor meinen Augen drehte sich eine kleine Kompassnadel wie wild im Kreis — Westen, Osten, Westen, Osten. Ich lief rot an und begann zu schwitzen. Das ist das Problem mit den Bingokugeln: Sie kullern einfach drauflos, ob es mir gerade passt oder nicht. Ich hörte sie förmlich gegen die Innenseite von meinem Schädel klackern.
Der Bühl lächelte freundlich weiter, aber in seinen Augen standen plötzlich zwei winzig kleine Fragezeichen, als hätte er noch nie einen fürchterlich schwitzenden Jungen gesehen. Seine Hand hing immer noch vor mir in der Luft. Er musste mich für komplett bekloppt halten. Ich beschloss, mich zusammenzureißen. Selbst für ein tiefbegabtes Kind ist ein Name mit einer einzigen Himmelsrichtung drin keine wirkliche Herausforderung.
»Issen da?«, rief Mama aus der Küche.
»Herr Ostbühl«, brüllte ich zurück. »Der Neue aus dem vierten Stock.«
Klack, klack, klackerdi-klack ...
»Also, ich kann ja auch später noch mal ...«, fing der Bühl an, und dann versickerte seine Stimme wie Regenwasser im April in einem Gully. Er guckte mit großen Augen über meine Schulter. Ich drehte mich um.
Mama war barfuß in den Flur getreten. Sie werkelte in ihren frischgefärbten erdbeerstichigen Haaren rum, um sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz zu binden. Ich mag es, wenn sie verschlafen ist, sie wirkt dann fast wie ein kleines Mädchen. Sie sah total hübsch aus, auch wenn ich mir wünschte, sie hätte mehr an als das kurze blaue Männerhemd, unter dem ihr Slip rausguckte.
Der Bühl guckte
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