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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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aus. »Und wo findet ihr das bessere Leben?«
Hans wollte in die Reichsstadt Nürnberg, wollte sich dort als Bildschnitzer verdingen. Den jüngsten Sohn des Meisters zog es über die Alpen ins südliche Tirol. »Dorthin, wo die Sonne scheint. Wo die Menschen lachen. Da will ich malen.«
Magdalena sah ihn bekümmert an. »Glaubst du, mit der Sonne allein ist schon für Glück gesorgt? Die haben wir hier auch Tag für Tag …«
Sie schloss die Augen. Was tust du? Die beiden sind jung, haben ein Recht auf ein schöneres Leben. Nur weil dein Platz hier ist, weil du wartest und hoffst, deswegen darfst du sie nicht zurückhalten. »Entschuldigt. Ihr habt mich einfach überrascht. Wenn ihr fest entschlossen seid und alles gut überlegt habt, dann möchte ich euch viel Glück wünschen.« Ein Lächeln gelang ihr. »Und wäre euer Vater hier, so würde er euch ganz gewiss seinen Segen geben.«
Magdalena erhob sich und hängte den Kessel übers Feuer. »Vielleicht kommt ihr ja irgendwann zu Besuch …« Sie sah die Flammen lodern und stockte einen Augenblick. Nur in den einsamen Nischen ihres Herzens pochte die Furcht, dass Til vielleicht nie mehr zurückkäme. Bei Tag aber befahl sie dem Gedanken zu schweigen, und so setzte sie betont hinzu: »Ja, kommt nur zu Besuch. Euer Vater wird sich ganz gewiss freuen.« Die Stimme wurde fester. »Und jetzt gibt es Brei. Nein, keine Widerworte. Mit leerem Bauch lasse ich euch nicht fort.«
Schritte im Gleichtakt, harte Schritte waren es, sie hallten, näherten sich der Kerkertür, standen still. Im Kohlengewölbe krochen die Gefangenen überhastet näher an die rückwärtige Wand, duckten sich. Keiner sprach. Als die Riegel schabten, das Schloss schnappte und jäh Helligkeit hereinbrach, pressten viele die Hände vors Gesicht.
In Begleitung von zwei Bewaffneten trat der Hauptmann tiefer in den Raum und hob die Öllampe. Langsam streifte der Schein über die Zitternden hinweg und erfasste die kauernde Gestalt nahe der linken Ecke. »Den da!«
Die Knechte rissen Til am zerschlissenen Wamskragen hoch und zeigten ihrem Vorgesetzten das verdreckte, bartverwilderte Gesicht. »Ja, der ist es.«
»Was habt ihr mit dem Bildschnitzer vor?« Martin Cronthal hob bittend die Hände dem Hauptmann entgegen. »Ich flehe euch an. Er ist doch schon genug geschunden worden.« Ein Tritt gegen die Brust warf den Stadtschreiber zurück. »Er bekommt jetzt, was er verdient.«
Sie legten dem großen Mann einen Halsstrick um und zogen ihn zum Ausgang. Kaum vernahm der Truppführer hinter sich die Seufzer der Erleichterung, blieb er etwas zurück und drehte sich noch einmal um: »Jeder von euch stinkenden Kötern hat den Tod verdient.« Gefährlicher Spott schwang in der Stimme. »Habt also Geduld. Jeder kommt an die Reihe. Einer nach dem anderen.«
Draußen nahmen vier Bewaffnete den Gefangenen in ihre Mitte. »Vorwärts.«
Til vermochte nicht Schritt zu halten, zu sehr noch schmerzten die Gelenke an den Füßen. Heftiger wurde am Strick gezerrt, immer wieder erhielt er Faustschläge in den Rücken.
Wohin? Dies war nicht der Weg hinunter zur Folterkammer. Als sie ihn ins Freie hinausführten, blendete das grelle Sonnenlicht, und er musste die Lider zu einem Spalt verengen. Vogelzwitschern, ganz in der Nähe, er wandte den Kopf, versuchte die Sänger zu entdecken. So lange hatte er ihre Melodien nicht mehr vernommen. Freiheit, für einen Augenblick gab er sich dieser Verführung hin, und sie entlockte ihm ein Lächeln.
»Mein Sohn, bist du bereit?«
Til hatte das Auftauchen des Priesters nicht bemerkt, jetzt wunderte er sich, ihn so eng an seiner Seite zu sehen. »Verzeiht, Vater. Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht?«
»Sei nicht verbittert, Sohn. Gott stößt niemanden zurück, der demütig Reue empfindet. Befreie jetzt deine Seele von aller Sündenlast, auf dass du gereinigt vor deinen Schöpfer treten kannst.«
Til blieb stehen, begriff jäh, wohin der Weg führte. Zwei der Bewaffneten wollten ihn weiterprügeln, doch ihr Befehlshaber winkte ab. »Lasst den Beichtvater gleich hier seinen Spruch sagen. Dann hält er uns nachher nicht unnötig von der Arbeit ab.«
Ungelenk hob Til die Hände, bis zu den Ellbogen war das Gefühl zurückgekehrt, seine Oberarme und Schultern aber waren von der Folter immer noch taub und kaum zu bewegen. »Vater, mir geschieht Unrecht. Kein Richter hat mich verurteilt …«
»Aber, Sohn … Jeder arme Sünder in deiner Lage sagt mir dies oder etwas Ähnliches.« Der Pater zupfte

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