Riemenschneider
Küchenfenster. Gefahr! Magdalena ließ sofort das Messer auf die schon zerkleinerten Zwiebeln fallen. Mit halblauter Stimme befahl sie den Mädchen: »Verschwindet! Zwei in den Keller. Eine nach oben in die Dachkammer. Dort bleibt ihr, bis ich euch rufe. Und keinen Laut. Rasch. Rasch!«
Sie wartete, bis die drei verschwunden waren, dann drückte sie sich eng an die Wand neben dem Fenster und spähte zur Werkstatt hinüber. Dort stand Tobias, deutete in Richtung Tor. Sie gab ihm mit der Hand ein Zeichen, hatte seine Warnung verstanden, und er zog sich wieder in die Werkstatt zurück. Leise verließ Magdalena die Küche, eilte die Treppe hinauf und stellte sich ans Flurfenster. Unten, hinter dem großen Schuttberg in der Hofmitte, noch nahe der überdachten Einfahrt, betrachtete ein Landsknecht die aufeinandergestapelten Särge, leicht wankte er hin und her.
»Dem Himmel sei Dank. Er ist angetrunken«, flüsterte sie. »Mit dem werde ich schon fertig.« Zunächst aber wollte sie abwarten. Vielleicht verschwand der Kerl auch von selbst, wenn er sich genügend umgesehen hatte. Bereit, sofort das Fenster zu öffnen, verfolgte Magdalena jede Bewegung des Fremden.
Gleich nach dem furchtbaren Bluttag hatte der Bischof einen Trupp Landsknechte in der Stadt einquartiert. Sie hausten nun in den guten Stuben der meisten Bürgerhäuser, während die Bewohner mit Küche oder Keller vorlieb nehmen mussten.
Hatten die Bauern schon Leid über Würzburg gebracht, so waren diese Söldner die leibhaftigen Knechte des Satans. In Würzburg gab es kein Gesetz, keinen Richter mehr. Sie waren die allmächtigen Herren. Ohne von Moral oder gar einem Befehl zurückgehalten zu werden, nahmen sich die Besatzer, was sie wollten. Saufen, Vergewaltigung und Mord gehörten zur Tagesordnung. Wehe der Magd, wehe dem Bürgertöchterchen, wehe der ehrbaren Hausfrau! Versteckt euch. Schaut zu Boden. Denn eine Geste, ein Lächeln kann schon genügen, und ihr erweckt die Aufmerksamkeit der Unholde. Dann hilft kein Flehen mehr, denn ihre Gier ist unersättlich.
Magdalena hatte umsichtig vorgesorgt. Zuerst musste Jörg hinauf nach Mühlhausen. Auf keinen Fall durfte Katharina in die Stadt kommen. Die Schwangere sollte bei Els bleiben, und, falls sich die Lage in der Stadt nicht besserte, auch dort das Kind zur Welt bringen. Von Tobias und den beiden anderen Brüdern verlangte sie, das Beweinungsrelief im Steinsaal hinter einer Wand aus Brettern zu verbergen. »Schützt den Heiland und die Trauernden. Wenn der Herr zurückkommt, soll er sie unbeschädigt wiedersehen.«
Auf ihren Vorschlag hin schafften der Altgeselle und die Söhne des Meisters während der Nacht vom zerstörten Haus auf der gegenüberliegenden Seite der Franziskanergasse so viele Trümmerstücke wie möglich in den Hof. »Lasst es hier so aussehen, als wären wir von den großen Kartaunen immer wieder getroffen worden. Und häuft Schutt berge auf. Nur ein Pfad darf noch zur Haustür führen.«
Wenige Tage später waren Quartiermacher der bischöflichen Truppen vor dem Tor abgestiegen, sie betraten den Hof, sahen die Verwüstung und ritten gleich weiter.
»Sie haben es geglaubt.« Nur einen Moment gab sich Magdalena mit ihren Männern der Erleichterung hin. »Andere werden kommen. Wir müssen uns noch besser vorbereiten.«
»Särge.« Tobias hatte die Söhne des Meisters angesehen. »Keiner wohnt gerne bei einem Sargbauer. Und Aufträge haben wir ohnehin keine. Lasst uns Totenkisten zimmern. Damit schrecken wir die Söldner ab.«
Magdalena trat näher ans Fenster heran. Mit einer Hand griff sie zum Rücken und prüfte den Sitz ihres Buckels. Unten schwankte der Fremde weiter in den Hof hinein, tappte den schmalen Pfad zwischen den Schutthaufen entlang. Jetzt blieb er unschlüssig stehen, dann setzte er sich auf einen der Trümmerbalken. »Meinetwegen. Verschnauf du nur.« Magdalena nickte grimmig. »Ehe du mir aber einschläfst, werde ich dich hinausbefördern.«
Damals hatte sie die Küchenmägde gerufen und sich mit ihnen hinter den Schuppen zurückgezogen. »Jede von euch beschmiert sich mit Lehm: Arme und Gesicht, den Hals und auch die Beine.« Für die Haare stellte sie einen Schmalztopf bereit. Nur ungern folgten die jungen Frauen, doch Magdalena erlaubte keine Widerworte. Zum Schluss mussten alle ihr Kittelkleid ablegen und erhielten dafür Lumpen. Staunend sahen sie zu, wie die Haushälterin sich selbst eindreckte, die Haare nach wenigen Griffen ins Fett strähnig am Kopf
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