Riemenschneider
Leere, immer wieder schlägt sein Körper an den Hauptstamm. Angetreten war er, um die Kirche zu erneuern; Laster, Völlerei, Ausbeutung der Armen, dagegen hatte er sich gewandt. Doch er war seinem Erfolg erlegen, schmeckte die Macht und er riss sie an sich.
Heute, am 23. Mai im Jahre des Herrn 1498, geht der Terror, geht das Gewaltregime im Namen Gottes nach fünf Jahren zu Ende. Keine Bespitzelung und Denunziation, keine willkürliche Verhaftung mehr, Frauen und Mädchen müssen nicht mehr dunkel verhüllt durch die Straßen der Stadt gehen, Bilder, Statuen und die Werke der großen Dichter werden nicht mehr vernichtet …
Der Scheiterhaufen lodert unter den Gehenkten. Die Flammen züngeln, lecken nach den Leibern.
Schreie! Das Volk weicht zurück. »Ein Wunder!«, heulen entsetzt einige Frauen auf. »Das ist das Wunder!«
Langsam hebt der tote Prophet den rechten Arm über das Feuer, wie auf der Kanzel streckt er zwei Knochenfinger, als wollte er die Menge segnen. Da löst sich der Arm vom Rumpf und fällt herab …
Mühlhausen, Dorf im oberen Tal
»Verfluchter Regen«, schimpft Magdalena vor sich hin, »umbringen wird er uns alle noch.« Den Leinenumhang schützend über Kopf und Schultern, stapft sie vom frühmorgendlichen Besuch draußen im Abtritt durch den zähen Matsch zurück ins Haus.
Seit zwei Monaten, seit Juli, regnete es ohne Unterlass. Die Sonne ist ein seltener Gast geworden, und zeigt sie sich zwischen den Wolken für wenige Augenblicke, so lächelt ihr niemand in Mühlhausen mehr zu. Und der nasse August des Jahres 1501 lässt alle Hoffnungen auf eine Ernte endgültig ertrinken, noch größeres Elend kündigt er an. Im vorigen Sommer war das Wetter ebenso schlecht gewesen, mehr als die Hälfte des Korns verfaulte am Halm, die Früchte verkümmerten. Der Schwager aber hatte die wenigen Vorräte streng eingeteilt. »Nur so kommen wir über den Winter und das Frühjahr.« Balthasar hatte Magdalena lange angesehen, dem abgekämpften Bauern fiel es schwer zu lächeln. »Auch dich und den Buben kriegen wir satt.«
Nie war ein Vorwurf über seine Lippen gekommen, doch Magdalena wusste es: »Florian und ich sind zu viel hier.« Sie arbeitete mit Els gemeinsam auf dem Feld, während der Schwager den Frondienst für die Herrschaft ableistete; sie ging hinter dem Pflug, setzte Rüben in klebrige Erde und sichelte vermodertes Gras. »Vielleicht«, dies war das erste Wort geworden und half über den Tag. »Vielleicht sieht Gott auch auf uns arme Menschen.« Doch keine Gnade, alle Mühe hat nichts gebracht.
Magdalena betrachtet ihren schlafenden Jungen, die langen Wimpern, das Kinn, den geschwungenen Mund. Zusammengerollt liegt Florian auf der Matte. »Wenn ich dich wecke, hast du Hunger«, flüstert sie und beschließt, den Siebenjährigen noch eine Weile liegen zu lassen. »Mein schöner Sohn.« Mütterlicher Stolz lässt die Augen schimmern. In den vergangenen vier Jahren, seit ihrer Rückkehr zur Schwägerin, ist Florian zu einem schlanken, hellwachen Knaben herangewachsen, meist liebenswert, bisweilen aber, wenn er seinen Willen nicht erhält, auch jähzornig.
»Du musst strenger mit dem Buben sein«, mahnt Els oft und wiegt bedenklich den Kopf. »Ohne Gehorsam lernt er nie, was Arbeit ist.«
»Ach, lass ihm Zeit. Das Leben wird noch hart genug.« Magdalena weiß nur zu genau, dass sie den Sohn verwöhnt, ihm viel zu viel nachsieht. »Versteh doch, er ist das Einzige, was ich hab.«
Sie beugt sich über ihn und streichelt sanft die dunkelblonden Locken. Verschlafen blinzelt Florian, räkelt sich und rutscht näher, er legt den Kopf in ihren Schoß, umschlingt sie mit den nackten Armen. »Mama, du bist so schön warm. Wenn ich mal groß bin, werde ich Ritter und heirate dich.«
Magdalena nickt versonnen; als es ihr auffällt, zupft sie Florian an den Locken. »Darüber reden wir noch. Und nun zieh dich an, mein Held. Wir sind sehr spät.«
Als sie die Küche betreten, ist Balthasar lange schon mit den anderen Bauern aufgebrochen, um pünktlich den Fronhof zu erreichen. Wer sich verspätet, den bestraft der Verwalter mit Tritten oder sogar Stockhieben, was aber noch schwerer wiegt, er gibt den Namen an die Blutzapfen weiter, und diese Kerle erinnern sich nur zu gern daran, wenn sie im Herbst den Zins eintreiben.
Els hockt am Tisch, mit der Hand stützt sie die Stirn, kurz sieht sie auf. »Gib dem Jungen eine Schale Brei. Das Brot müsst ihr euch teilen. Milch ist auch noch da.«
Florian nimmt die kleine
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