Riemenschneider
Schüssel in Empfang, will nicht sitzen, er schlendert zum Fenster und löffelt genüsslich das mit Honig und Himbeeren versüßte Hirsemus. Zwischen den Happen deutet er nach draußen. »Da kommt ein Reiter die Straße rauf.«
Keine der Frauen hat es gehört, zu laut ist das bedrückte Schweigen. Nach einer Weile berührt Magdalena den Arm der Schwägerin. »Was ist?«
»Der Mann meint, es wird hart im Winter. Vielleicht nehmen sie uns die Kuh. Weil, Geld haben wir keins.« Els hebt den Kopf. »Zu hart wird es für uns vier, meint er.« »Ich hab verstanden.« Längst schon erwartet, jetzt aber ausgesprochen schmerzt der Satz wie ein Schnitt.
»Mama, der Reiter hält an und schaut zu unserm Haus.«
»Still, Florian.« Magdalena winkt ungehalten ab, dann presst sie die Hände zusammen. »Wir sollen fort?«
»Nein, nein. Der Mann lässt euch nie im Stich, und ich schon gar nicht.« Els fasst nach den gefalteten Händen. »Nur meint er, wenn du mit dem Buben über den Winter zum Fronhof gehst. Eine Stallmagd brauchen die immer, und der Bub ist zum Helfen schon groß genug.«
»Aber dort leben die Kerle, die meinen Jakob …« Magdalena schließt die Augen … Der Strick hängt vom Querbalken herab, das umgekippte Fass … Rasch öffnet sie wieder ihre Lider, um das Bild abzuwehren. »Was bleibt mir übrig? Du hast recht, versuchen muss ich es.«
»Mama, guckt doch!« Ohne den Blick vom Fenster zu lassen, weicht der Junge einige Schritte zurück. »Der Mann steigt ab. Riesig ist er …« Florian sucht Schutz bei den Frauen. »Er kommt.«
»Wer?« Gleichzeitig springen Tante und Mutter auf, starren nach draußen, erkennen nur eine große Gestalt im Regenumhang, das Gesicht unter der weiten Kapuze bleibt ihnen verborgen.
»Wie ein Scherenschleifer sieht der nicht aus«, flüstert Els und wappnet sich mit dem langen Brotmesser. Magdalena zögert, dann nickt sie. »Nein, bestimmt nicht.«
Pochen. Das Klopfen wird stärker.
Els verbirgt die Klinge im Rücken, geht durch den Flur und öffnet.
»Ihr seid es …?« Erst nach tiefem Atemholen fasst sie sich. »Aber, Herr? Und das bei solch einem Sauwetter.«
»Darf ich eintreten?«
Seine Stimme. Magdalena bleibt keine Zeit, schon folgt er Els in die Küche. Er streift die Kapuze zurück, lässt sich den Regenumhang abnehmen, bedankt sich höflich bei der Schwägerin, dann erst richtet er den Blick auf Magdalena. »Gott zum Gruße.«
Vier Jahre sind eine lange Zeit, ihr gelingt nur ein Nicken.
»Ich wollte sehen, wie es bei dir steht. Und ob ich helfen kann.«
Sie spürt das Blut zurückkehren, kann die Lippen öffnen. »Woher wusstet …?« Die Frage in ihr wird klarer. »Warum ausgerechnet heute?«
»Der Sommer ist schlecht für uns alle. Im Weinberg reifen die Reben nicht. Der Main überschwemmt Wiesen und Felder. Aber euch hier oben muss das Wetter noch ärger treffen als uns unten in der Stadt, deshalb dachte ich …«
»Bitte, Herr. So antwortet doch, warum kommt Ihr heute?«
Unaufgefordert nimmt Els den Jungen bei der Hand und verlässt mit ihm leise die Küche.
Magdalena drängt: »Warum nicht gestern oder morgen? Sagt es mir, Herr.«
»Ich hatte den Besuch schon im Frühjahr geplant, aber stets hinderte mich die Arbeit daran.« Meister Til kämmt mit gespreizten Fingern das volle Haar zurück. »Erst heute Morgen im Bett fasste ich den Entschluss, bin sehr früh aufgestanden und gleich losgeritten.«
»Sonderbar«, Magdalena schüttelt über sich selbst den Kopf, »mir kommt es vor wie ein kleines Wunder. Da reden wir über das Elend, die Schwägerin und ich, und da kommt Ihr zu Besuch und fragt, ob Ihr helfen könnt …«
»Also Wunder tue ich ganz sicher nicht.« Das Schmunzeln verschmilzt mit dem jungenhaften Blick. »Um ehrlich zu sein. Die letzten Nächte fand ich keinen Schlaf, weil das Kindergeschrei im Nebenzimmer einfach nicht aufhören wollte. Und heut beim Morgengrauen dachte ich, die Einzige, die helfen kann, ist meine Eva …« Er senkt die Stimme. »Darf ich dich noch so nennen?«
»Wenn es Euch gefällt, Herr. Und ich stehe doch immer noch am Portal der Marienkapelle. Oder?« Ein Zwinkern stiehlt sich in die Augenwinkel. »Seht Ihr mich hin und wieder mal an?«
Seine Stimme schwingt mit. »Ansehen? Es vergeht keine Woche, in der ich nicht hingehe und zu dir aufschaue.«
»Und habt Ihr den toten Bischof schon fertig? Ich weiß noch, aus rotem Marmor wolltet ihr ihn schlagen.«
»Wie gern würde ich dir sein Grabmal im Dom zeigen.«
Ein Seufzer. »So oft
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