Riesling zum Abschied
zusätzlich sogar noch an Marketing, Buchführung, Informationstechnologie und das gesamte Zertifizierungs(un)- |38| wesen dachte. Die Hälfte ihres Tages (und der Nacht) verbrachten Winzer heute mit Marketing und der Organisation ihrer Büros. Einfache Weinbauern waren das längst nicht mehr.
Sie blickte auf und sah den Studenten mit dem Wochenbart vor sich, der sie wegen der Beratung angesprochen hatte. Seinen Nachnamen, Achenbach, hatte sie sich gemerkt, denn jemand hatte ihre Namen verwechselt und sie gefragt, ob sie, Johanna Breitenbach, seine Mutter sei. Sie hatte gelacht. Aber nein, sie hatte keine Kinder, ein »leider« schwang dabei im Stillen mit, doch es wagte sich nicht so weit in ihr Bewusstsein vor, als dass es ihr hätte wehtun können. Ihr Sohn? Nein, der wäre anders gewesen, jedenfalls nicht so selbstgefällig wie der junge Mann vor ihr. Der andere neben ihm mit den langen dunklen Locken kam längst nicht so selbstbewusst daher. Die Dritte des Trios blieb auf Distanz. Sie wandte sich just in dem Moment einer anderen Studentin zu, als der Bärtige zu sprechen begann. Er stellte sich als Thomas Achenbach vor, seinen Begleiter als Manuel Stern.
»Ich habe mit meinem Vater geredet«, sagte er mit einer überraschend freundlichen Stimme. »Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie die Zeit für einen Besuch fänden und uns beraten würden. Wir stellen unser Weingut von konventioneller auf ökologische Produktionsweise um, und da gehört ein modernes Energiemanagement dazu, also genau das, was Sie uns hier beibringen. Wenn Sie uns helfen könnten, den Betrieb auf mögliche Einsparungen hin zu analysieren ...«
»In der Pfalz ist das Weingut, wenn ich mich recht erinnere?«
»Ja, bei Bad Dürkheim. Vierzehn Hektar haben wir im letzten Jahr gekauft, es ist ein hügeliges Gebiet mit verschiedenen Bodentypen. Wir hätten da ein bescheidenes Gästezimmer ...« Thomas Achenbach lachte etwas unsicher, Johanna fand diesen Zug an ihm sympathisch.
|39| »Das ist was für Mönche«, ergänzte Manuel Stern freundlich. »Es ist mehr eine Zelle mit Tisch, Stuhl, Bett und drei Kleiderhaken an der Wand. Ich kenne das Zimmer, man schläft wunderbar – es ist ein Raum für das Wesentliche ...«
»... aber wir zahlen natürlich auch das Hotel, wenn Sie lieber in Bad Dürkheim ...« Die letzten Worte Thomas Achenbachs kamen kaum noch bei Johanna an. Sie kannte den Namen Stern nur in Bezug auf eine bekannte Dynastie von Diamantenhändlern, und sie blickte Manuel zum ersten Mal sehr bewusst ins Gesicht. Stammte er aus dieser Dynastie? Er schien ein reicher Junge zu sein, freundlich, weiche Gesichtszüge, längst nicht so hager wie sein Freund und mehr ein verträumter Typ als ein Realist, den Johanna im philosophischen Seminar erwartet hätte statt unter diesen bodenständigen Studenten. Dieser Manuel benahm sich wie ein Städter, war gut angezogen, bevorzugte Hemden mit geknöpftem Kragen statt Kapuzenpullover, er trug lederne Slipper und nicht die üblichen Laufschuhe. Er wirkte gepflegt, gut erzogen, verbindlich, aber er war auch ein wenig zaghaft und verschlossen. Jetzt zupfte ihn seine Begleiterin am Ärmel. Johanna bekam mit, wie eine Frage gestellt wurde. Sie verstand nur ein einziges Wort: Mord!
»Geht es um ... die Studentin?« Johanna deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der die Worte kamen. »Ich habe erst heute davon erfahren. Wissen Sie mehr darüber?«
Manuel Stern schlug die Augen nieder und stöhnte. Thomas Achenbach antwortete für ihn. »Sie meinen wahrscheinlich Alexandra Lehmann.« Er machte auf Johanna den Eindruck, als würde er das Thema recht sachlich angehen. »Manuel war mit ihr befreundet, auch wir, Regine und ich, wir kannten sie. Alexandra war ab und zu bei uns – in der WG.«
»Oh, das tut mir leid – mein ... mein Beileid.« Mehr wusste Johanna nicht zu sagen.
Achenbach drehte sich zu der kleinen Studentin um und |40| schob sie nach vorn. »Das ist Regine, die Dritte in unserem Wohnchaos.«
Johanna wollte nicht neugierig erscheinen, aber sich gar nicht dafür zu interessieren wäre auch falsch.
»Ich habe erst heute von diesem ... schrecklichen Ereignis erfahren. Wann ist es passiert?«
»Montag hat man sie gefunden. Also wird sie am Sonntag ermordet worden sein. Am Dienstag war die Polizei bei uns und hat uns alle verhört, besonders Manuel haben sie in die Mangel genommen. Wir wissen nichts, nur das, was man sich aufgrund der Fragen der ... Polizisten
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