Riesling zum Abschied
Getränketechnologen zu tun und weniger mit den Internationalen Weinwirtschaftlern.«
»Das stimmt«, sagte Johanna nachdenklich. Ökologie und Umweltschutz oder Energietechnik gehört bei Weinwirtschaftlern weder zu den Pflichtveranstaltungen noch zu den Profil- oder Wahlmodulen, wie die freiwilligen Veranstaltungen inzwischen hießen. Sie versuchte, sich an ihre Studenten zu erinnern, aber das von der Sekretärin beschriebene Gesicht war nicht darunter. Es wäre ihr aufgefallen.
»Aber auffällig war sie doch, kaum zu übersehen. Die Lehmann trat immer mit zwei Freundinnen auf, die studierten zusammen.« Die Sekretärin kicherte verstohlen. »Die Rosa Handtaschen hat man sie genannt.«
»Wie heißen die?« Johanna meinte, sich verhört zu haben.
Ein verlegenes Schulterzucken begleitete die Antwort. »Rosa Handtaschen. Ich habe es nicht erfunden. Es kam von den Studenten. Eine hat mir das mal erzählt, weil sie alle drei am selben Tag mit rosa Handtaschen in die FH gekommen sind.«
Johanna fand es lächerlich. »Weiß man schon ...«
»... wer der Täter ist?«, beendete die Sekretärin die Frage. »Nein. Es gibt keine Spur, soweit ich weiß. Die Kripo hält sich bedeckt, Sie wissen ja, um die Ermittlungen nicht zu gefährden«, flüsterte sie, »aber die taucht bestimmt noch bei uns auf – die Mordkommission.«
|34| War es unfair, dass Johanna der Sekretärin unterstellte, sich bestimmt darüber zu freuen?
»Also wenn Sie mich fragen ...«, die Sekretärin hielt inne, »... einer aus Ihrem Seminar war mit der Lehmann befreundet, ja, er war ihr Freund, der wird bestimmt mehr wissen. Stern heißt er, Manuel Stern, er stammt aus München, ein piekfeiner Junge und ein Pianist.«
»Der studiert Weinbau?«
»Warum soll ein Student nicht Klavier spielen? Der soll ziemlich gut sein, hat man mir gesagt, tritt auch öffentlich auf. Und beim Rheingau Musik Festival wird er in diesem Jahr dabei sein, richtig mit einem Orchester und so, das werde ich mir anhören. So jemanden hatten wir hier noch nie ...«
»Ich muss los, Sie entschuldigen mich, ich muss mich vorbereiten«, sagte Johanna, um die Frau loszuwerden. Sie griff nach ihrem Rechner und der ledernen Handtasche, sah sie befremdet an, aber sie war nicht rosa, sondern beige.
Als die Sekretärin ging, spürte Johanna den missbilligenden Blick im Rücken, während sie zur Kaffeeküche ging, um sich einen Cappuccino zu holen. Die Vorlesung begann um zehn Uhr, sie hatte noch Zeit, ihre Präsentation einmal durchlaufen zu lassen und sich Fragen zu den diversen Themenbereichen in Erinnerung zu rufen. Sie fühlte sich in ihrem Thema so sicher, dass sie kein Konzept benötigte. Um die sechzig bis siebzig Studenten anderthalb Stunden lang unter Kontrolle zu halten, musste sie die jungen Leute einbeziehen, und das geschah am besten anhand der Erfahrungen, die sie während des Praktikums, ihrer Winzerlehre oder im elterlichen Betrieb gemacht hatten.
Vor dem Hörsaal blieb Johanna irritiert stehen. An anderen Tagen hatte sie bereits im Flur ein hoher Geräuschpegel erwartet, die Tür war von debattierenden Studenten umlagert, die sich weniger über die Inhalte der bevorstehenden Veranstaltung unterhielten als über den gestrigen Abend. |35| Aber heute herrschte Stille. Niemand wartete auf Johanna, um sie mit Fragen zu löchern oder Ratschläge einzuholen. Aus dem Hörsaal drang nur Gemurmel, die Stimmung war gedämpft. Drei Gruppen hatten sich um jeweils eine Person geschart, zwei junge Männer und eine junge Frau, die Johanna als sehr interessierte und aufmerksame Zuhörer kannte. Der größte von ihnen, ein hoch aufgeschossener Mann mit gestutztem Bart und schwarzem Haar hatte sich neulich wegen einer individuellen Beratung »unseres« Weingutes an sie gewandt – sicher war das seiner Eltern gemeint. Sie war sich nicht sicher, ob er besonders motiviert, krankhaft ehrgeizig oder ein eitler Streber war. Seine Fragen jedoch hatten nicht so geklungen, als ob er sich hatte aufspielen wollen. Er war ihr nicht eine Minute lang unaufmerksam vorgekommen, genau wie der schwarzhaarige Lockenkopf und die kleine lebhafte Studentin, die meistens zusammenhockten. Jetzt bildete jeder von ihnen den Mittelpunkt einer Gruppe.
Als man Johanna bemerkte, suchte sich jeder schweigend einen Platz. Sogar oben in der linken Ecke des Hörsaals, wo sich die Winzersöhne versammelten, war es still. Sonst quatschten sie, zuzuhören brauchten sie nicht, sie erbten irgendwann
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