Riesling zum Abschied
unsere gesamte Weinlese, dass der Typ sein Vater ist. Unglaublich ...«
»Bei dem miesen Wetter kommt dieses Jahr sowieso nur die Hälfte zusammen ...«
»Du sollst übersetzen und keine Sprüche klopfen, Thomas!«
»Ich habe verstanden«, sagte Pascal, »Waller trifft Manuels Vater.«
»Da soll einer kapieren, was da abgeht«, schnaufte Regine, es war die Entdeckung, die sie außer Atem brachte. »Was bedeutet das?«
Thomas starrte zum Hoteleingang. Er hatte einen schrecklichen Verdacht: Waller und Stern, das System, von dem Waller gesprochen hatte, das europaweite Informationssystem, das Weingut in Gigondas, dazu der Rechtsanwalt, der die Schläger losschickte, und Manuel war im Knast. Opferte da ein Vater den Sohn seinen persönlichen Interessen? Der Gedanke erschütterte ihn zutiefst.
»Er ist es, glaub mir!«
»Ich muss ihn trotzdem sehen«, sagte Thomas wie in Trance und ging los, ließ sich von Pascal nicht aufhalten und schüttelte Regine ab, die ihn am Arm festhalten wollte. Er sah den abgemagerten Manuel vor sich, das Häufchen Elend, dann das Arschloch Vormwald, der ihn versauern ließ – auf Geheiß des Vaters? Dann Waller, wie er aufgestanden war und diese Drohung ausgestoßen hatte, »es wird Ihnen noch leidtun«.
|355| Vor den großen Glasscheiben des Eingangs blieb Thomas stehen, sah sich nach seinen Freunden um, Pascal nickte, es war das Zeichen zum Weitergehen, er würde ihn decken.
Von der Rezeption aus sprach ihn jemand an, Thomas hörte nicht hin, er wusste, wer Stern war, er erkannte ihn von hinten, er war kräftiger als Manuel, aber sonst glichen sie sich in der Haltung, in der Haarfarbe, im Gestus. Hinter einer Schmuckvitrine blieb Thomas stehen. Das war eindeutig Manuels Vater. Die Ähnlichkeit war verblüffend, aber die Stimmen waren verschieden.
Thomas war zu weit entfernt, um den Wortlaut ihres Gesprächs zu erfassen, und näher traute er sich nicht heran. Waller redete eindringlich auf Stern ein, was Stern reglos über sich ergehen ließ. Eine Bewegung weiter rechts ließ Thomas zusammenfahren. Vormwald, wieder in Schwarz, schob seinen massigen Körper durch die Halle, ließ sich grußlos in einen der Sessel fallen und hörte Waller zu. Er wird durch die Tiefgarage gekommen sein, das hatte Thomas nicht bedacht. Hätte Vormwald aufgeblickt, dann hätte er Thomas wahrscheinlich bemerkt, daher war es besser, schleunigst zu verschwinden.
Regine und Pascal schienen ihn vergessen zu haben, sie schauten erst auf, als er vor ihnen stand. »Regine, jetzt bist du wieder dran. Vormwald ist aufgekreuzt. Das sieht wie ein Treffen der Mafia aus. Setze dich zu ihnen, zumindest in die Nähe. Dich kennt keiner.«
»Du bist verrückt. Ich gehe da nicht wieder rein.« Sie sah nicht ihn, sondern Pascal fragend an. »Unmöglich, meine Haare – und dann in Jeans, in diesen alten Schuhen – wie sehe ich aus?«
»
Magni fi que.
« Pascal hielt ihr strahlend seinen Kamm hin, »großartig«, aber das nahm ihm Regine nicht ab. »Ich passe nicht in den vornehmen Laden.«
»Du warst doch eben drin.« Thomas winkte ab. »Heutzutage gibt’s keine Kleiderordnung mehr.«
|356| Regine protestierte weiter: »Dann muss ich mir wenigstens den Lidstrich nachziehen.« Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und klappte die Sonnenblende herunter. Thomas und Pascal sahen ihr zu. »Guckt weg, dabei kann sich ja kein Schwein konzentrieren.«
»Der spezielle Charme einer Winzerin«, sagte Thomas. »Ihr Ton ist gewöhnungsbedürftig. Du musst sie mal flu chen hören, wenn sie eine Filteranlage reinigt und die Teile passen nicht richtig ...«
Als sie mit dem Schminken fertig war, mussten die Freunde Regine fast zum Hoteleingang schieben.
»Wir haben uns in Eltville genau richtig verhalten, und meine Vermutungen haben sich bestätigt. Die hängen alle miteinander zusammen.«
»Nur dieser Marquardt fehlt.« Pascals Einwand war berechtigt. »In welcher Beziehung steht er zu den dreien?«
Dazu fiel Thomas lediglich ein, dass Marquardt für irgendetwas herhalten musste, »außerdem frage ich mich, ob Stern in diesem Informationssystem drinhängt. Wenn es um die Chemieindustrie geht, hat er damit zu tun.«
»Merkwürdig, wie unterschiedlich Menschen sind. Manuel, sagst du, sei seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Aber charakterlich liegen sie meilenweit auseinander. Wodurch werden Menschen zu dem, was sie sind?«
Thomas machte ein Gesicht mit dicken Backen wie ein Kugelfisch und ließ hörbar Luft
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