Riesling zum Abschied
könnte? Bei den vielen Studenten habe ich nur eine vage Vorstellung von ihr. Dann kommt noch das Personal der Hochschule, obwohl ich mit den Fachbereichen Landschaftsgestaltung und Gartenbau nichts zu tun habe. An der FH Bingen im Studiengang Umweltschutz ist das anders, da unterrichte ich täglich. Aber Sie hatten Manuels Hintergrund angesprochen. Was meinen Sie damit?«
»Scheidungskinder sind heute die Regel und nicht die Ausnahme, alleinerziehende Mütter und Väter wie mich gibt’s häufiger. Mit Thomas’ Mutter war ich nie verheiratet. Bis zur Einschulung lebte er bei ihr, dann wollte er zu mir, und sie hat es zugelassen. Wir haben ihm immer den nötigen Rückhalt gegeben, was er brauchte, bekam er, nur einen Bruder nicht, da ich nicht wieder geheiratet habe. Ich habe versucht, ihm alles zu sein, Vater und Bruder – wenn nicht auch noch die Mutter. Meine Beziehungen zu Frauen waren nie besonders konstant. Ich war zu viel unterwegs, in jedem Sinne.«
So wie der Mann vor ihr aussah, konnte Johanna das durchaus verstehen.
|71| »Und was hat das mit Manuel zu tun?«
»Das alles hat er nie bekommen, und als es kam, konnte er nicht damit umgehen.«
Sie waren im Gärkeller angekommen, und Johanna sah sich um. Hier stand ein Sammelsurium von Tanks aus diversen Epochen und Materialien: Edelstahl, Kunststoff, Stück- und Halbstückfässer aus Holz, die Böden besonders alter Fässer waren mit Schnitzereien verziert so wie etliche Geisenheimer Studienjahrgänge ihre Fässer mit den jeweils aktuellen Motiven hinterlassen hatten, darunter die Mondlandung und eine Reblaus als eigentlicher König des Weinbergs.
»Wir brauchen Zeit – und Geld, um das alles auf den neuesten Stand der Technik zu bringen«, entschuldigte sich Philipp Achenbach. »Und wir brauchen Zeit, um herauszufinden, was für den Wein gut ist. Hier ist alles ziemlich auf den Hund gekommen, aber ein voll funktionsfähiges Weingut hätten wir uns nie leisten können. Schlecht sind die Weine nicht. Ich kann das beurteilen, mein Sohn kann es auch, und Manuel bringen wir es bei.«
»Hier findet die Gärung statt?«, fragte Johanna übergangslos.
Philipp Achenbach, bei dem sie nicht wusste, ob sie einen Winzer oder Manager vor sich hatte, nickte eilfertig.
»Ich brauche die Abmessungen des Raums. Ich muss den Rauminhalt kennen, um den Ventilator-Typ und den Durchmesser des Lüftungskanals und seine Länge festzulegen. Aber erzählen Sie weiter. Ich schaue mich um und höre zu.« Sie begann, mit einem Maßband den Raum auszumessen.
Philipp Achenbach brauchte einen Moment, um sich zu besinnen. »Wir sprachen von Manuel, ja – die Eltern sind seit ewigen Zeiten geschieden, sie haben ihn in ein Nobelinternat gesteckt und sich nie um ihn gekümmert. Der Vater machte Karriere in der Chemiebranche, er ist ein hohes Tier bei einem Konzern, im Topmanagement. Die Mutter hat in |72| ihrer neuen Ehe viele Verpflichtungen, gesellschaftlicher Art. Sie muss für ihre Männer da sein. Es ist zurzeit der Dritte oder der Vierte, einer reicher als der andere. Ich weiß nicht, wie solche Frauen das anstellen, was ihren Reiz ausmacht. Und egal, was der Junge brauchte, sie haben es ihm gekauft. Als er sagte, er wolle sich hier einkaufen, brauchte er nicht einmal zu fragen. Er hat eigenes Geld.«
»Und wie viel hat er? Hoffentlich keine Sperrminorität.«
»Wofür halten Sie uns? Vier von vierundvierzig Anteilen, und ich selbst bin nur so was wie der Vorsitzende dieser kleinen Gesellschaft.«
»Und wie viele Anteile hält Ihr Sohn?«
»Da fragen Sie ihn besser selbst.«
Johanna erinnerte sich wieder an die Ferien am Neusiedler See vor einigen Jahren, wo Carl sich in eine Winzerin verliebt hatte, die umgebracht wurde. Was sie jetzt dazu trieb, sich für den Mord an der Studentin zu interessieren, hätte Johanna nicht sagen können, schon gar nicht, weshalb ihr die folgende Frage in den Sinn kam. »Könnte Manuels Familie damit etwas zu tun haben?«
Philipp Achenbach verharrte stocksteif. »Darauf sind wir noch gar nicht gekommen. Was veranlasst Sie zu dem Gedanken?«
»Es wäre möglich, dass man diese Alexandra nicht in der Familie haben will, weil sie es auf einen reichen Erben abgesehen hat.«
Philipp Achenbach rümpfte die Nase. »So wie Manuel mir seine Verwandtschaft geschildert hat, wäre das eher ein Grund, sie mit offenen Armen aufzunehmen. Und Thomas hat es bestätigt.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Wissen Sie – es gibt Menschen, die meinen,
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