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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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Gegenwart, sie gab nichts von sich preis, dabei habe ich selten einen Menschen getroffen, der so mit seiner Vergangenheit verhaftet war, dass er sie ständig verdrängen musste. Meinem Eindruck nach wollte sie Manuel unter Kontrolle halten. Aber das hier ist sein Reich, deshalb fühlt er sich hier so wohl, und genau deshalb hat sie versucht, ihn von uns zu entfremden.« Philipp Achenbach nahm seine Brille ab und rieb sich das Gesicht. »Jetzt habe ich genau das getan, was ich nicht wollte – mich eingemischt.«
    Hat Manuel deshalb zugeschlagen, um sich von der Kontrolle zu befreien?, schoss es Johanna durch den Kopf, doch sofort tat sie den Gedanken ab. Nein, Manuel kam als Täter nicht in Betracht. Doch je mehr sie hörte, desto hartnäckiger |78| hielt sich der Verdacht, gerade so wie ein Splitter im Finger: Je mehr man daran herumdrückte, desto tiefer trieb man ihn in die Haut. Aber als dann Manuel mit dem Salat auf einem Tablett den Raum betrat, zufrieden, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, und froh, für andere etwas tun zu dürfen, war der Splitter draußen, ganz von allein. So jemand schlug auch im Affekt nicht zu, der zog sich zurück und richtete die Gewalt gegen sich selbst. Wenn sie mit sich im Reinen war, konnte Johanna sich auf ihr Gefühl verlassen. Aber – war sie das? Dieser verflixte Splitter   ...
    Der Riesling zum Salat mit der Orangenvinaigrette war eine gute Wahl. Johanna kostete den Wein wieder und sah sich auf dem Tisch um. Vor jedem Teller standen drei Gläser, also würde es zu jedem Gang einen anderen Wein geben. »Aus den alten und neuen Beständen«, wie Thomas erklärte.
    »Ich habe Manuel und Thomas gebeten, die guten Rheingauwinzer abzuklappern«, erklärte Philipp Achenbach. »Sie sollen probieren und sich einen Überblick verschaffen. Sie müssen wissen, was es gibt und was möglich ist.«
    »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldener Baum«, meinte Thomas gelangweilt.
    »Goethe, Johann Wolfgang von, Faust 1«, steuerte Manuel bei. »Obersekunda   ...«
    »Der war auch im Rheingau unterwegs«, sekundierte sein Freund. »Wer hat auf Schloss Johannisberg keine Spuren hinterlassen? Ein Nassauer wird er gewesen sein, was sonst? Das kam in einem Brief an den Großherzog Carl August von Weimar zum Ausdruck. Dem schrieb er bei der Übergabe des Schlosses an Österreich von einem ›heiteren Mittagsmahl‹. Überall wird der Kerl sich bei den Fürsten eingeschmeichelt und durchgefressen haben und hat dafür schöne Sprüche hinterlassen: ›Der Johannisberg herrscht über alles.‹«
    »Die Herrscher hatten es Goethe angetan«, pflichtete sein Vater bei. »Er war ihnen sehr – zugetan.«
    |79| Johanna musste lächeln. Den beiden war nichts heilig. »Und was ist mit Heinrich Heine? Der soll auch im Rheingau umhergewandert sein.«
    »Der ist mir lieber«, sagte Manuel, »unten im Gewölbe vom Johannisberg habe ich ein Fass gesehen mit einem Spruch von ihm im Fassboden, der gefällt mir besser: ›Wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, dass ich Berge versetzen könnte, der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe.‹«
    »Und was würden Sie sich überall hin nachkommen lassen?«
    »Einen Flügel«, sagte Manuel, »dazu braucht es statt des Glaubens nur eine Spedition.«
    »Die Begeisterung für Rheingau Riesling hat sich seit damals nicht geändert.« Philipp Achenbach knüpfte an das Gesagte wieder an. »Den Rheingau sehe ich als Versuchslabor für diese Rebsorte, mit der wir kaum konkurrieren können. Ihre Ausprägungen sind dort so vielseitig wie sonst nirgends. Ich kenne keine andere Rebsorte, die so sehr den Boden im Geschmack ausdrückt, das Terroir, wie Riesling, und doch behält er seine Eigenheit. Wenn man bei Lorch anfängt und sich rheinauf bewegt, reichen diese unterschiedlichen Böden vom Schiefer dort bis zum Quarzit auf dem Johannisberg, es folgt kalkhaltiger Löss in Hattenheim weiter oberhalb, und schließlich sind es sandige Böden, mit Mergeln versetzter Lösslehm in Hochheim.«
    »Du hast Kiedrich vergessen, Papa, Phyllitböden. Da liegt das Weingut Robert Weil. Das steht auch auf unserer Besuchsliste.«
    »Und was sagen Sie zu diesem?«, fragte Johanna. Sie nahm die Flasche in die Hand und betrachtete das Etikett. Der Name Gunter Künstler sagte ihr wenig, der Wein jedoch gefiel ihr ausnehmend gut. Und dann passierte genau das, was sie befürchtet hatte.
    »Mich interessiert viel mehr, was Sie, Frau

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