Riesling zum Abschied
dass ihnen etwas von Natur aus zusteht. Woher sie diese Überzeugung nehmen, ist mir ein Rätsel. Wir haben diese junge Frau einmal erlebt. Manuel hat ihr das Weingut voller Stolz |73| gezeigt; es ist ein Zuhause für ihn geworden, wir sind seine Familie, Thomas so etwas wie ein Bruder. ›Das ist ja nur ’ne Baustelle‹, lautete Alexandras Kommentar, ›das ist ja gar kein richtiges Weingut.‹«
»Das ist auch mein Eindruck.«
Philipp Achenbach zog die Augenbrauen hoch. »Es kommt darauf an, wie man es sagt. Das bleibt es wohl auch noch auf Jahre hinaus. Das ganze Leben ist eine Baustelle, wenn es interessant bleiben soll. Nichts ist fertig, kein Keller, kein Weinberg. Und das ist das Schöne. Aber diese junge Frau Lehmann hat es anders gemeint als Sie, Frau Breitenbach. Es mochte ihre Meinung sein, gut, aber meinem Eindruck nach ging es ihr darum, Manuel zu verletzen, sicher weil sie wusste, wie viel ihm dieser Ort bedeutet. Ein anderer Satz war, vielmehr eine Frage, wo man in dieser Bauerngegend abends essen gehen sollte. Wenn man mit ansehen muss, wie ein Ort schlechtgemacht wird, an dem jemand, der einem ans Herz gewachsen ist, glücklich ist, und das ist Manuel hier, dann ist das ...« Philipp Achenbach atmete tief durch und suchte nach dem richtigen Wort. »... dann ist das niederträchtig. Darin sehe ich auch einen Grund für den Mord.«
Johanna sah Philipp Achenbach mit großen Augen an. »Sie meinen doch nicht etwa, dass Manuel ...«
»Um Himmels willen! Das habe ich nicht sagen wollen. Ich glaube, es liegt in unserem Charakter, mit wem wir Umgang pflegen. Ich weiß nicht, mit wem diese Alexandra Umgang hatte. Ich halte mich raus, es ist Sache der Polizei, den Fall zu klären, die hat das entsprechende Personal, obwohl mein Sohn mir sagte, dass er sich mit dem Leiter der Mordkommission nicht verträgt. Wahrscheinlich hat er es am Respekt fehlen lassen, aber das liegt in der Familie. Meine Aufgabe ist es, Manuel aufzufangen. Er ist intelligent, er ist fleißig, er lernt schnell, er gibt sein Bestes, und er liebt die Natur. Darin stimmen wir überein. Ich weiß nicht, ob Manuel diese Alexandra geliebt hat. Ob es so war – wer will |74| das beurteilen? In dem Alter verdrehen Weib und Wein jedem jungen Kerl den Kopf.«
»Nur den Jungen, nicht den Alten?«
Philipp Achenbach nahm lachend zwei Gläser, füllte sie mit Wein aus einem Stückfass und reichte eines an Johanna weiter. »Mein Sohn hat zurzeit keine Freundin. Er meint, dass er zu viel um die Ohren habe, der Aufbau, sein Studium ... Aber wenn die Richtige kommt, findet man immer Zeit. Wir waren in Karlsruhe in einem Museum. Er interessiert sich für Bilder, so wie ich. Dann kam ein bildschönes Mädchen vorbei, er sah sie, doch dann betrachtete er lieber den Picasso.«
»Vielleicht weil beide so kühl sind?«
»Das ist Ihre Ansicht«, entgegnete Philipp Achenbach.
Oh, da zeigt sich der Vater, der nichts auf den Sohn kommen lässt, dachte Johanna. Über die Kinder anderer Leute sagt man besser nichts, außer man lobt sie.
»Ich möchte Ihnen noch die anderen Räume zeigen, bevor wir uns um den Rauminhalt des Gärkellers kümmern.« Philipp Achenbach war vom freundschaftlichen Ton zum verbindlichen übergegangen und ging voraus auf den Hof, wo er eine der beiden großen Flügeltüren öffnete. Auch hier, in der Halle mit einer in Folie verhüllten Abfüllanlage, wurde gebaut, die Deckenbalken wurden wie im Büro durch Metallträger ersetzt.
»Wozu dient diese Maßnahme?«, fragte Johanna. »Die Balken sehen brauchbar aus.«
»Mit der Statik haben wir kein Problem, aber mit Trichloranisol. Sie kennen diesen dumpf-muffigen Geruch, den man landläufig Korkton nennt?«
Johanna stimmte ihm zu. »Jeder Weintrinker kennt ihn, nur muss es nicht immer Kork sein.«
»Das ist richtig. Man ist in den letzten Jahren zu Kunststoffstopfen und Schraubverschlüssen übergegangen, um Korkschmecker zu vermeiden. Trotzdem tauchte auch in |75| derartig verschlossenen Flaschen dieser Geruch auf. Thomas hat kürzlich eine Geisenheimer Untersuchung in die Hände bekommen, wonach chemische Altlasten in Verbindung mit Mängeln am Bau ebenfalls die Ursache für den Fehlton sein können. Da hat man Pentachlorphenol als Quelle für die Entstehung von Trichloranisol ausgemacht. Und als wir hier alte Kanister mit dem Holzschutzmittel Xylamon fanden, das diesen Stoff enthält, haben wir die Raumluft untersuchen lassen – leider mit positivem Ergebnis. Aus
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